Grundeinkommen als Grundlage einer neuen Gesellschaftsausrichtung

Zunächst einmal klingt es wenig plausibel: Das Grundeinkommen wird individuell und ohne Bedarfsprüfung ausgezahlt. Da fragen viele: wer wird denn dann noch arbeiten?

Das Desaster ist aber gerade, dass Menschen in der Lage sind, diese Frage zu stellen. Sie meinen offenbar, dass Mensch für Geld arbeiten würde. Davon sind heute wohl fast alle auf dieser Welt überzeugt, auch bei uns in Deutschland. Es mag ja so sein, dass vielen egal sein mag, WAS und WIE sie arbeiten, Hauptsache, sie bekommen dafür anständig bezahlt. Es wird ja auch von „Existenzminimum gesprochen“, z. B. immer wieder von Franz Müntefering, aber was ist das für ein Existenzbegriff? Dabei mag Franz Müntefering durchaus ehrenwerte Absichten haben. Das Existenzminimum des Menschen ist nicht nur materieller Natur, es hängt auch davon ab, ob er sich Möglichkeiten zur Kommunikation mit anderen Menschen erworben hat, ob er gelernt hat, mit seinem Gefühlsleben klar zu kommen. Ist sein Organismus dem Menschen so fremd, dass er den Rest seines Lebens unter dieser Bürde seines Unwissens keuchen wird? Ist sein Stoffwechsel von miserabler Ernährung und nervösen Spannungen gepeinigt, sein Traumleben öd und leer, liegt seine Phantasie darnieder? Ist sein soziales Gewissen unter Egoismus begraben? Kann er Tanten, Atmen, Malen? Kann er sich entspannen? Wird er mit Angst, Aggression und Neid fertig? Hat er Ausdrucksmöglichkeiten für Vertrauen und Zärtlichkeit?

Wenn Mensch nicht weiß, wer er ist, und nicht weiß, dass er es nicht weiß? Ist das nicht auch ein gewaltiger Makel seiner Existenzgrundlage?

Wenn all das nichts mit Existenzgrundlage zu tun hat, sondern sich dieses nur durch einen kleinen Grundbetrag definiert, dann sollten wir zugeben, dass diese Existenzgrundlage nichts mit Gesundheit, Bildung und Glück zu tun hat, sondern nur mit seiner Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt.

Wenn es denn bald ein bedingungsloses armutsfestes Grundeinkommen geben wird, können all diese Fragen von einer ganz anderen Seite angegangen, bearbeitet werden. Mensch könnte die wirklich grundlegenden Dinge wieder ins Zentrum seines Lebens stellen. Das wird allerdings erst einmal wieder gelernt werden müssen, denn die Welt steht diesbezüglich seit längerem auf dem Kopf.

 

Nehmen wir beispielsweise noch einen anderen begriff: die Vollbeschäftigung. Der amerikanische Geschichtsprofessor und Soziologe Theodore Roszak fragte bereits im Jahr 1978 in seinem Buch „Person / Planet. The Creative Disintegration of Industrial Society“:

„Wenn ich höre, wie Politiker und Gewerkschaften darüber reden  `den Menschen Arbeit zu geben ´, frage ich mich, ob ihnen klar ist, wie erbärmlich wenig damit erreicht wäre. Was bedeutet `Vollbeschäftigung´ für Menschen wie meinen Vater, deren tägliche Arbeit nur Demütigung und Quälerei ist? Genügt es immer noch, einfach nur zu zählen, wie viele Menschen Arbeit haben – ohne danach zu fragen, ob sie auf ihre Arbeit auch stolz sein können? Wann werden wir wohl anfangen, nicht mehr nur quantitativ nach den Beschäftigungsverhältnissen zu fragen, sondern auch qualitativ? Anders gefragt, wann werden wir anfangen, Menschen nicht mehr als statistische Einheiten zu betrachten, sondern als Personen?“ (S. 192)

Eigentlich ist das Zeitalter des Individualismus bzw. der Egoität längst vorbei. Doch funktioniert unsere Arbeitswelt immer noch nach dessen Grundregeln: „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“. Dabei ist das eigentliche Sozialmotto, wenn eine Gemeinschaft / Gesellschaft funktionieren soll, genau umgekehrt zu formulieren: Jeder / Jede ist des Glückes Schmied aller anderen.

Und hier liegt die Bedeutung des bedingungslosen armutsfesten Grundeinkommens: sie ist ein Baustein zu einer neuen Auffassung gesellschaftlichen Lebens. Indem der / die Einzelne aus der falschen Angst befreit wird, ausschließlich einer lohnabhängigen fremdbestimmten Arbeit nachgehen zu müssen, bekommt er / sie wieder die Möglichkeit, sich die Motive für den Inhalt der Arbeit, und damit die Verantwortung für den eigenen Arbeitsprozess, sich selbst zu geben und ihnen zu folgen. Bisher wurde vielen von uns das Ergebnis der Arbeit und die Verantwortung für die Arbeit abgekauft. Mit etwas, was man „Gehalt“ nennt. Zumindest die materielle Grundsicherung wird durch das Grundeinkommen jedem / jeder Einzelnen von allen anderen zur Verfügung gestellt. Und durch sinnvolle Arbeit, gleich, ob Lohnarbeit oder eine andere, gibt Mensch etwas davon wieder zurück. Auf diese Weise bekommt die Arbeit durch das Grundeinkommen wieder ihren Sinn, ihre Würde, ihre Bedeutung zurück.

Die verschiedensten Formen der Arbeit sind auch heute noch so, dass erkennbar ist: sie werden für andere Menschen geleistet. Die Entscheidung für das Grundeinkommen ist eine Entscheidung für den Menschen als soziales Wesen und gegen den Menschen als verwertbares Objekt.

Der / die Einzelne wird durch das bedingungslose armutsfeste Grundeinkommen ein Stück Freiheit erhalten. Und Gemeinschaften können nur dann frei sein, wenn sie aus befreiten Individuen besteht. Und frei wird der Mensch nur durch Bildung, durch Kultur. Der Mensch ist in seinem Wesen ein Kulturwesen. Und nur zum Teil ein Naturwesen. Das Kulturwesen sollte die Oberhand behalten, wenn die Menschen eine Zukunft haben sollen. Und Kultur wird von Mensch zu Mensch geschaffen.

Ein eigenes Erlebnis am Schluss: Am Ende meiner inzwischen zahlreichen Veranstaltungen zum Grundeinkommen habe ich mir angewöhnt, die Anwesenden zu fragen: „Wer von Ihnen glaubt, viele andere Menschen würden nicht mehr arbeiten, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe?“ Es melden sich ungefähr die Hälfte der Anwesenden. Zweite Frage: „Wer von Ihnen würde nicht mehr arbeiten, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe?“ Ergebnis: es meldet sich – keiner.

Roszak nennt Arbeit in seinem oben genannten Buch deshalb „die höchste Form des Yoga“. Sie muss, so Papst Johannes Paul VI. in seiner frühen Enzyklika „Laborem Exercens“, deshalb „personalen Charakter“ haben, weil dieser „personale Charakter“ dem Wesen der Arbeit innewohnt. Und über diese Definition der Arbeit hinaus wissen eigentlich alle: Arbeit ist das einzige Mittel, um Gesellschaft zu gestalten, um für andere da sein zu können und um sich einbringen zu können. Deshalb würden auf Dauer die allermeisten Menschen auch arbeiten, selbst wenn die Arbeit nicht mehr mit dem Lohn zusammenhängen würde.

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