Brief an Wolfgang Strengmann-Kuhn bzgl. Rente mit 67

Lieber Wolfgang Strengmann-Kuhn
liebe Simone Schmollack,

liebe Freundinnen und Freunde!

Noch mal ein neuer Strang zur „Rente mit 67“. 

Mit stellen sich die folgenden Fragen:

Wolfgang, Du bist Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens. Eine der realpolitischen Säulen für das bGE ist die Tatsache,  dass die Lohnarbeit in Deutschland und auch weltweit immer mehr abnimmt. Wir steuern auf eine 80:20-Gesellschaft zu, in der 20% der Menschen das herstellen können, was wir zum Leben brauchen. Überall wird rationalisiert. Gerade auch wegen der Rationalisierung ist der Gedanke an eine so genannte (Lohnarbeits-)-Vollbeschäftigung absurd.

Die Sozialsysteme und insbesondere die Rente weiter auf die Lohn-arbeitenden Menschen aufzubauen ist ein Trugschluss und führt in eine Katastrophe, deren Anfang wir gerade erleben. Die Verfechter von Vollbeschäftigung und Wachstum sammeln sich gerade in einer Splitterparte mit Namen FDP.

Seit der Club of Rome-Studie von vor 30 Jahren haben intelligente Menschen begonnen, sich von der Wachstumsidee aus vielerlei gründen zu verabschieden. Dass bisher keine Partei der sich vollziehenden Rationalisierung durch ein schlüssiges Konzept entgegenstellt, dass diese Rationalisierung und Schrumpfung der Lohnarbeit gerecht wird, ist tragisch. Ich fordere das hier in Schleswig-Holstein bei den GRÜNEN seit 6 Jahren.

Du schreibst: das bGE sei keine Alternative zur Rente mit 67. Unterschreiben würde ich diesen Satz, wenn er so lautete: Das bGE ist (auf absehbare Zeit) keine Alternative zur Rente.

Die Rente mit 67 halte ich für einen von Gedankenlosigkeit strotzenden Irrweg, der einfach die Realitäten nicht sieht, denn es ist doch völlig klar eine Rentenkürzung, besonders für die, um es auf den Punkt zu bringen, die dann zwischen 65 und 67 sterben und überhaupt nicht mehr in den Genuss einer Rente kommen. Und für den großen Teil der (lohn-)arbeitenden Bevölkerung IST es AUSSCHLIESSLICH eine Kürzung, den sie gehen heute bereits teilweise etliche Jahre vor dem 65. Lebensjahr in Rente.

Im Gegensatz zu Cem betrachte ich die Rente mit 67 als eine Kapitulation vor der teilweise traurigen heutigen Realität.

Nun haben wir doch aber bei den Grünen schon lange ein Modell, in das die Rentenfrage einbezogen und teilweise gelöst werden könnte: die Bürgerversicherung. Wieso wird diese nicht (statt Rente mit 67) diskutiert, obwohl sie ja weitgehend von uns beschlossen wurde und Kranken- und Rentenversicherung umfassen kann?

Ich habe auch ein paar weitere Vorschläge zu machen.

1. Ganz naiv: warum erhöhen wir nicht erst einmal die Rentenbeiträge? Mir ist bewusst, dass das jetzt dem teilweise widerspricht, was ich oben geschrieben habe. Ich schreibe das nur deshalb, weil ich meine, diese wäre, trotz allem, der Bevölkerung eher zu verkaufen, als die Rente mit 67. Wenn es dann heißt: wir können die Lohnnebenkosten nicht weiter erhöhen, dann gibt es auch da einen Ausweg. Denn:

2. Warum erhöhen wir nicht die Mehrwertsteuer auf 25% oder 27% für alles, was heute bei 19% liegt und senken die 7%-tige MWST um 2% auf 5%. Und mit dem Überschuss finanzieren  die Rente mit 62 !!! Oder mit 60 !!! Und wer freiwillig bis 65 arbeiten will, der kann das tun. Also Mann und Frau KÖNNTEN; WENN SIE WOLLTEN mit 60 in Rente gehen, aber sie MÜSSEN  es nicht. Das wäre eine realpolitische Reaktion auf eine sozialpolitische Tatsache. Und die Okösteuer, deren ökologische Substanz weitgehend in ihrem bloßen Namen verborgen ist, könnte auch weg bzw. sie wird gesenkt und der Rest wird wirklicher ökologischer Sinngebung zugeführt.

Ich denke mal, so etwas werden die Menschen verstehen, weil man ihnen nicht nur etwas NIMMT, sondern auch GIBT. Der Spielraum dazu wäre da.

Und als Unterbau, das sehe ich jedoch ganz unabhängig von obigen Gedanken, wird ein Grundeinkommen eingeführt, über dessen Höhe wir ja streiten können. Aber an dieser Stelle sind wir uns ja einig. Grundeinkommen UND Rente als Paket.

Wir wissen, dass gerade mal 40% der deutschen Bevölkerung in einem lohnabhängigen Arbeitsverhältnis stehen. Und wir machen in vieler Hinsicht oft zwei Fehler: Erstens reden wir in diesem Themenzusammenhang nur über diese und zweitens bürden wir ihnen, die immer weniger werden, noch zusätzliche Lasten auf.

Ich habe in der Debatte um Rente mit 67 noch keine Gedanken gehört, die uns aus dem beschriebenen Dilemma herausführen. Rationalisierung, Arbeitsplatzabbau und begrenztes Wachstum wird einfach ignoriert. Es wird so getan, als gäbe es das überhaupt nicht. Das nenne ich Realitätsverlust oder den „Verlust von Bodenhaftung“. Die Maßnahmen, wie eben die Rente mit 67, sind immer solche, die nur wenige Treffen und dann auch nur der Tropfen auf den heißen Stein sind. Denn in manchen Kreisen wird ja bereits schon die Rente mit 70 als unabwendbar diskutiert. Das reicht alles nicht. Ein grundlegender Systemwechsel muss her! Die Bürgerinnen und Bürger, mit denen ich bei meinen Veranstaltungen diskutiere, verstehen das. Und sie sind auch bereit zu Einschnitten, aber nicht weiter zu solchen, die die Probleme nur herumschieben, statt sie zu lösen.

Bei dieser komplexen Lage einfach zu sagen: die Menschen müssen halt zwei Jahre länger arbeiten, obwohl die Arbeitsplätze gar nicht da sind? Das ist: Kopf in den Sand stecken und das sollten wir lieber anderen überlassen.

Ähnliche Beiträge

© 2015 Arfst Wagner | Personalisiertes Layout basierend auf WordPress BizzCard Theme