Archiv – Arfst Wagner http://arfst.kleineboote.de ÖKOLOGISCH - SOZIAL - BASISDEMOKRATISCH - GEWALTFREI Wed, 02 Jun 2021 19:57:26 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.1.10 Presse über Arfst Wagner (Bündnis 90/Die Grünen) zur Landtagswahl 2012 http://arfst.kleineboote.de/2012/presse-uber-arfst-wagner-bundnis-90die-grunen-zur-landtagswahl-2012/ http://arfst.kleineboote.de/2012/presse-uber-arfst-wagner-bundnis-90die-grunen-zur-landtagswahl-2012/#respond Sun, 03 Jun 2012 23:01:21 +0000 http://cms.arfst-wagner.de/2012/presse-uber-arfst-wagner-bundnis-90die-grunen-zur-landtagswahl-2012/ n-tv vom 26.04.2012:

Im Land der Gelassenen – die GRÜNEN und die PIRATEN in Schleswig-Holstein

Schleswig-Holsteinische Landeszeitung vom 05.40.2012

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Landtagswahlkampf

Arfst Wagner bei „Vorwahl“ in der Lornsenschule Schleswig bei 28,5 %.

Ein grüner Politiker mit Herz für die Piraten

05. April 2012 | Von Dirk Jennert

Der Grünen-Kandidat Arfst Wagner will in der Hochphase des Landtagswahlkampfes auf einer Veranstaltung der Piraten auftreten.

Burg / Schleswig. Grünen-Chef Robert Habeck räumt ein, „dass die Sache mitten im Wahlkampf etwas komisch aussieht“, die Piratenpartei bezeichnet den Vorgang als „ganz normal“, der Betroffene selbst ist amüsiert: Der Grünen-Landtagskandidat Arfst Wagner (Wahlkreis Schleswig) will in der Hochphase des Landtagswahlkampfes auf einer Veranstaltung der Piratenpartei auftreten: Am 18. April spricht er in Burg (Kreis Dithmarschen) über das Thema Grundeinkommen. Bereitet hier nach Angelika Beer ein weiterer Grüner sein Überlaufen zu den Piraten vor?

„Ich bleibe ein Grüner“

Wagner dementierte dies gestern umgehend: „Ich bleibe ein Grüner, auch wenn ich verärgert über unsere Bundesspitze bin, die das Thema Grundeinkommen einfach wegdrücken will“, sagte er auf Anfrage des sh:z. Seit mehreren Jahren setze er sich für das Grundeinkommen ein. Bei der Piratenpartei sieht Wagner die Möglichkeit, dieses Thema zu platzieren. „Ich werde freudig mit den Piraten diskutieren, zumal es mit ihnen viele Gemeinsamkeiten gibt.“ Er wolle jedoch bei den Piraten nicht als Grüner auftreten, sondern als Sprecher der Bürgerinititive „Bedingungsloses Grundeinkommen Schleswig-Holstein“.

Wagner will seiner Partei nicht in den Rücken fallen

Die Überläufer-Gerüchte um Wagner machten am Dienstagabend in Schleswig die Runde. Bei einer Wahldebatte mit Vertretern aller Parteien saß überraschend nicht der angekündigte Wagner auf dem Podium, sondern Grünen-Landtagsfraktionschef Habeck. Allerdings wollte Habeck nicht bestätigen, dass Wagner wegen seiner Piraten-Kontakte kurzfristig zurückgezogen worden sei. „Er hat mir mittags mitgeteilt, dass er wegen Krankheit nicht kommen konnte. Da bin ich eingesprungen.“ Arfst Wagner macht deutlich, dass er seiner Partei nicht in den Rücken fallen wolle. Das bekamen auch die Piraten zu spüren, als sie das Wahlkampfplakat für die Veranstaltung mit Wagner vorbereiteten. Nicht lesen wollte der Grüne darauf die Aufforderung „Piraten wählen!“

TAZ-Online vom 05.01.2012

Link

TAZ vom 06.01.2012

 

Kieler Nachrichten vom 21.01.2012:

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Brief an Wolfgang Strengmann-Kuhn bzgl. Rente mit 67 http://arfst.kleineboote.de/2012/brief-an-wolfgang-strengmann-kuhn-bzgl-rente-mit-67/ http://arfst.kleineboote.de/2012/brief-an-wolfgang-strengmann-kuhn-bzgl-rente-mit-67/#respond Tue, 10 Jan 2012 18:51:01 +0000 http://cms.arfst-wagner.de/2012/unbenanntes-dokument-5/ Lieber Wolfgang Strengmann-Kuhn
liebe Simone Schmollack,

liebe Freundinnen und Freunde!

Noch mal ein neuer Strang zur „Rente mit 67“. 

Mit stellen sich die folgenden Fragen:

Wolfgang, Du bist Verfechter eines bedingungslosen Grundeinkommens. Eine der realpolitischen Säulen für das bGE ist die Tatsache,  dass die Lohnarbeit in Deutschland und auch weltweit immer mehr abnimmt. Wir steuern auf eine 80:20-Gesellschaft zu, in der 20% der Menschen das herstellen können, was wir zum Leben brauchen. Überall wird rationalisiert. Gerade auch wegen der Rationalisierung ist der Gedanke an eine so genannte (Lohnarbeits-)-Vollbeschäftigung absurd.

Die Sozialsysteme und insbesondere die Rente weiter auf die Lohn-arbeitenden Menschen aufzubauen ist ein Trugschluss und führt in eine Katastrophe, deren Anfang wir gerade erleben. Die Verfechter von Vollbeschäftigung und Wachstum sammeln sich gerade in einer Splitterparte mit Namen FDP.

Seit der Club of Rome-Studie von vor 30 Jahren haben intelligente Menschen begonnen, sich von der Wachstumsidee aus vielerlei gründen zu verabschieden. Dass bisher keine Partei der sich vollziehenden Rationalisierung durch ein schlüssiges Konzept entgegenstellt, dass diese Rationalisierung und Schrumpfung der Lohnarbeit gerecht wird, ist tragisch. Ich fordere das hier in Schleswig-Holstein bei den GRÜNEN seit 6 Jahren.

Du schreibst: das bGE sei keine Alternative zur Rente mit 67. Unterschreiben würde ich diesen Satz, wenn er so lautete: Das bGE ist (auf absehbare Zeit) keine Alternative zur Rente.

Die Rente mit 67 halte ich für einen von Gedankenlosigkeit strotzenden Irrweg, der einfach die Realitäten nicht sieht, denn es ist doch völlig klar eine Rentenkürzung, besonders für die, um es auf den Punkt zu bringen, die dann zwischen 65 und 67 sterben und überhaupt nicht mehr in den Genuss einer Rente kommen. Und für den großen Teil der (lohn-)arbeitenden Bevölkerung IST es AUSSCHLIESSLICH eine Kürzung, den sie gehen heute bereits teilweise etliche Jahre vor dem 65. Lebensjahr in Rente.

Im Gegensatz zu Cem betrachte ich die Rente mit 67 als eine Kapitulation vor der teilweise traurigen heutigen Realität.

Nun haben wir doch aber bei den Grünen schon lange ein Modell, in das die Rentenfrage einbezogen und teilweise gelöst werden könnte: die Bürgerversicherung. Wieso wird diese nicht (statt Rente mit 67) diskutiert, obwohl sie ja weitgehend von uns beschlossen wurde und Kranken- und Rentenversicherung umfassen kann?

Ich habe auch ein paar weitere Vorschläge zu machen.

1. Ganz naiv: warum erhöhen wir nicht erst einmal die Rentenbeiträge? Mir ist bewusst, dass das jetzt dem teilweise widerspricht, was ich oben geschrieben habe. Ich schreibe das nur deshalb, weil ich meine, diese wäre, trotz allem, der Bevölkerung eher zu verkaufen, als die Rente mit 67. Wenn es dann heißt: wir können die Lohnnebenkosten nicht weiter erhöhen, dann gibt es auch da einen Ausweg. Denn:

2. Warum erhöhen wir nicht die Mehrwertsteuer auf 25% oder 27% für alles, was heute bei 19% liegt und senken die 7%-tige MWST um 2% auf 5%. Und mit dem Überschuss finanzieren  die Rente mit 62 !!! Oder mit 60 !!! Und wer freiwillig bis 65 arbeiten will, der kann das tun. Also Mann und Frau KÖNNTEN; WENN SIE WOLLTEN mit 60 in Rente gehen, aber sie MÜSSEN  es nicht. Das wäre eine realpolitische Reaktion auf eine sozialpolitische Tatsache. Und die Okösteuer, deren ökologische Substanz weitgehend in ihrem bloßen Namen verborgen ist, könnte auch weg bzw. sie wird gesenkt und der Rest wird wirklicher ökologischer Sinngebung zugeführt.

Ich denke mal, so etwas werden die Menschen verstehen, weil man ihnen nicht nur etwas NIMMT, sondern auch GIBT. Der Spielraum dazu wäre da.

Und als Unterbau, das sehe ich jedoch ganz unabhängig von obigen Gedanken, wird ein Grundeinkommen eingeführt, über dessen Höhe wir ja streiten können. Aber an dieser Stelle sind wir uns ja einig. Grundeinkommen UND Rente als Paket.

Wir wissen, dass gerade mal 40% der deutschen Bevölkerung in einem lohnabhängigen Arbeitsverhältnis stehen. Und wir machen in vieler Hinsicht oft zwei Fehler: Erstens reden wir in diesem Themenzusammenhang nur über diese und zweitens bürden wir ihnen, die immer weniger werden, noch zusätzliche Lasten auf.

Ich habe in der Debatte um Rente mit 67 noch keine Gedanken gehört, die uns aus dem beschriebenen Dilemma herausführen. Rationalisierung, Arbeitsplatzabbau und begrenztes Wachstum wird einfach ignoriert. Es wird so getan, als gäbe es das überhaupt nicht. Das nenne ich Realitätsverlust oder den „Verlust von Bodenhaftung“. Die Maßnahmen, wie eben die Rente mit 67, sind immer solche, die nur wenige Treffen und dann auch nur der Tropfen auf den heißen Stein sind. Denn in manchen Kreisen wird ja bereits schon die Rente mit 70 als unabwendbar diskutiert. Das reicht alles nicht. Ein grundlegender Systemwechsel muss her! Die Bürgerinnen und Bürger, mit denen ich bei meinen Veranstaltungen diskutiere, verstehen das. Und sie sind auch bereit zu Einschnitten, aber nicht weiter zu solchen, die die Probleme nur herumschieben, statt sie zu lösen.

Bei dieser komplexen Lage einfach zu sagen: die Menschen müssen halt zwei Jahre länger arbeiten, obwohl die Arbeitsplätze gar nicht da sind? Das ist: Kopf in den Sand stecken und das sollten wir lieber anderen überlassen.

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Rente mit 67 aussetzen? http://arfst.kleineboote.de/2012/rente-mit-67-aussetzen/ http://arfst.kleineboote.de/2012/rente-mit-67-aussetzen/#respond Thu, 05 Jan 2012 12:58:54 +0000 http://cms.arfst-wagner.de/2012/rente-mit-67-aussetzen/ Richtig, lieber Peer Steinbrück:

„Die Antwort auf den mathematischen Druck der Demographie kann nicht die ersatzlose Suspendierung der Rente mit 67 sein“, sagte er dem in Berlin erscheinenden Tagesspiegel.

Die Rente mit 67 selbst aber auch nicht! 

„Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir die Voraussetzungen für eine längere Lebensarbeitszeit schaffen müssen“, sagte Parteichef Cem Özdemir der Süddeutschen Zeitung.

Doch Cem! Es führt ein Weg dran vorbei. Die Einführung einer bedingungslosen Grundsicherung für alle Menschen ist die notwendige politiscdhe Antwort auf die immer weniger werdende Anzahl an Lohnarbeitsplätzen.

Und weiter sagst Du der „Süddeutschen“:
„Statt mit einer Aussetzung vor der traurigen Wirklichkeit zu kapitulieren und das Pferd von hinten aufzuzäumen, muss endlich dafür gesorgt werden, dass die Rente mit 67 für manche Menschen nicht zu einer Rentenkürzung durch die Hintertür wird.“

Die Rente mit 67 ist selbst eine Kapitulation vor der Wirklichkeit, die allerdings gerade hier NICHT traurig ist, sondern die Erfüllung von Zielen in der Arbeitswelt der letzten Jahrzehnte:
Meine 88-jährige Mutter sagte kürzlich: Wir haben doch auch deshalb so viel gearbeitet, damit ihr nicht mehr so viel arbeiten müsst.

Ökonomisch nennt man das  Rationalisierung. Und wenn wir das Problem einmal global betrachten, dann wissen wir, und Du auch Cem, dass die Arbeitslosigkeit weltweit in den kommenden Jahren noch erheblich zunehmen wird. Und auf diesem Hintergrund ist die Rente mit 67 die besagte „Kapitulation“, auch vor der eigenen Ideenlosigkeit und der eigenen Verhaftung in  einem Lohnarbeitssystem, dass sich längst überholt hat.

Und wie sagt Fritz Kuhn, unser Grüner Oberneoliberaler? Wir lesen: „Jetzt die Rente mit 67 auszusetzen, würde bedeuten, den Druck rauszunehmen.“

Ja Fritz, das hätte ich doch gern genauer. Auf wen willst Du Druck ausüben? Auf die Politik? Aber doch bitte nicht auf Kosten der 65-67-Jährigen? Denn DIE bekommen doch den Druck ab
bzw. diejenigen, die früher in Rente gehen. Oder meinst Du, wenn man Menschen fördern will, muss man Druck ausüben ujnd zwar auf die Betroffenen? Da ist nur ein sehr kleiner Schritt hin zu: Je größer der druck, um so größer die Erfolgsaussichten? Oder wie meinst Du das?

Die Rente mit 67 ist nichts anderes ale eine Rentenkürzung! Was denn sonst? Etwa die Sorge darüber, diese Menschen wüssten mit ihrer Zeit nichts anzufangen?

Dass sich bei Grünen und SPD jetzt das alte Hartz IV-Denken wieder zu Wort meldet, erscheint panoptisch.

Nötig wären ganz andere Wege. Das systematische Umsteigen auf eine echte unkürzbare Grundsicherung für alle und echte Angebote für Freiwilligenarbeit zum Beispiel.
Diejenigen, die immer noch meinen, man müsse an der Lohnarbeit und der Tatsache, dass sich die Sozialsysteme auf diese Lohnarbeit stützen müsse, festhalten, weil dies „alternativlos“ sei, sind selbst, Gott sei Dank, NICHT alternativlos.

Weg mit der Rente mit 67!
Weg mit bevormundendem und gängelndem Hartz IV-System und- Denken!
Fordern wir die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens für alle!

Arfst Wagner (Direktkandidat zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein, Wahlkreis Schleswig-Süd für  Bündnis90/Die Grünen)

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„The Same Thing“- Rock- und Bluesband aus Wyk auf Föhr der 70er Jahre. Arfst „Arfie“ Wagner, Wolfgang „Wölfi“ Schiffner, Johannes „Hannes“ Thomsen, Uwe „Püffi“ Matthiesen, Harro Bohn. Deutschrock aus Nordfriesland, Klaus-Peter Lohse, Rolf „Robertson“ Ropertz. http://arfst.kleineboote.de/2011/the-same-thing-rock-und-bluesband-aus-wyk-auf-fohr-der-70er-jahre-arfst-arfie-wagner-wolfgang-wolfi-schiffner-johannes-hannes-thomsen-uwe-puffi-matthiesen-harro-bohn-deutschrock-aus/ http://arfst.kleineboote.de/2011/the-same-thing-rock-und-bluesband-aus-wyk-auf-fohr-der-70er-jahre-arfst-arfie-wagner-wolfgang-wolfi-schiffner-johannes-hannes-thomsen-uwe-puffi-matthiesen-harro-bohn-deutschrock-aus/#respond Thu, 08 Dec 2011 20:09:24 +0000 http://cms.arfst-wagner.de/2011/the-same-thing-rock-und-bluesband-aus-wyk-auf-fohr-der-70er-jahre-arfst-arfie-wagner-wolfgang-wolfi-schiffner-johannes-hannes-thomsen-uwe-puffi-matthiesen-harro-bohn-deutschrock-aus/ The Same Thing

Rock und Blues aus Nordfriesland

in den Jahren 1969-1973

Wölfi, Arfie, Hannes und Harro

Arfie`s Gästebuch

Das die Gästebucheinträge nach 12 Monaten gelöscht werden, habe ich Sie hier vor der Löschung gerettet).

Reflektionen:

50 Jahre Woodstock oder eine Hommage an Al „Blind Owl“ Wilson (von Arfst „Arfie“ Wagner)

Arfie (2. von links)in Woodstock 1994.

Die Bandgeschichte:

Die Band „The Same Thing“ wurde im Jahr 1969 von Johannes „Hannes“ Thomsen (g, Voc), Arfst „Arfie“ Wagner (dr, voc, violine) und Uwe „Püffi“ Matthiesen (g, b,) in Wyk auf der Nordseeinsel Föhr gegründet. Auf Föhr gab es vorher die Band „Beefeaters“, die vorwiegend Rock`n Roll spielte und die Band „Blue Island“ ( Wolfgang Rose (g), Uwe Thomsen (dr), Andreas Fehrmann (b), die sich an der Underground-Musik, aber auch am Blues orientierte. (Wer es einmal gehört hat, wird „Dimples“ nicht vergessen…)

Manager der Band war zunächst von Jan-Dirk Groten, in dessen Keller im Rebbelstieg auch die Proben stattfanden.

Harro und Cornelia

Hannes und Alice

Arfst „Arfie“ Wagner an seiner „Sonor“-Schiessbude in Dirks Keller

„The Same Thing“ gaben sich ihren Namen nach einem Stück von Muddy Waters, dass sich auf der berühmten weissen „Blues News“-LP findet.

Arfie (Danke für das Foto, Uli!)

Das erste öffentliche Konzert fand am 08. August 1970 in der Deichkurve am „Wyker Morsloch“, dem Klärwerk statt. Es sollte das einzige Konzert in der Gründungsbesetzung bleiben.

1. Konzert am „Wyker Morsloch“ am 08.August 1970. (Foto: Jörg Kohler aus Neuchatel) Der weisse Schrank ist ein mit 2 Lautsprechern verschönerter Nachtschrank, auf dem ein alter Röhrenverstärker stand (20 W, wenn ich recht erinnere). Besetzung: Hannes Thomsen, Arfie Wagner und Püffi Matthiesen.

auch dieses und das drunter vom sagenumwobenen „Morsloch“-Konzert

Die drei in Reihe geschlossenen Radios alsMikro-Verstärker sind nicht zu übersehen. Auf dem Foto von links: Jörg Kohler, Arnold Rimpau, Arfie Wagner und Hannes Thomsen.

Im Jahr 1971 verließ Püffi Matthiesen die Band, er musste das Gitarrespielen wegen Gelenkrheumatismus aufgeben. Von nun an war Wolfgang Schiffner ein stilprägendes Mitglied der Band.

In den Jahren 1971, 1972 und 1973 trat im Erdbeerparadies eine ganze Anzahl Deutschrock-Band auf, unter anderem Frumpy, Novalis, Cravinkel und Blonker. Und zwischendrin auch „The Same Thing“.

Wolfgang „Wölfi“ Schiffner

Arfst „Arfie“ Wagner

Johannes „Hannes“ Thomsen

An zwei Konzerten nahm auch Harro Bohn als Rock`n Roll-Sänger teil, nämlich an dem letzten Kozert im „Erdbeerparadies in Boldixum, wo er „Hound Dog“ und „Johnny B. Goode“ sang.

Harro Bohn, Arfie Wagner und Hannes Thomsen

Larry Roos, Wolfgang Schiffner, Hannes Thomsen (nicht aui den Bildern), Arfie Wagner und als Special Guest der Drommer der gigantischen Föhrer Rockband „Blue Island“, Uwe Thomsen im Hotel Rugstieg. Für diesen Auftritt gemeinsam mit Larry wurde einmalig ein anderer Bandname verwendet: „The Weak“. (Danke für den Hinweis, Larry!)

Larry heute: Hey Joe! mit Joe`s Garage bei youtube HIER

Larry und Arfie beim Konzert im Hotel Rugstieg

Die Band „The Same Thing“ spielte unter anderem eigene Stücke, die von Wolfgang Schiffner ( „Stammerer“, „When I love her“, „The Begin“ (zusammen mit Arfie Wagner) und Johannes Thomsen („Peace is the Word, Love is the Way“) geschrieben wurden. Aber es wurde auch gecovert: „Gerdundula“ von Status Quo (mit Arfie Wagner als dem Teufelsgeiger von Föhr), „Going up the Country von Al „Blind Owl“ Wilson von Canned Heat, „How the Gypsy was Born“ von Frumpy, „A Million Miles away“ von Rory Gallagher, sowie aus der Rock`n Roll-Kiste: Johnny B. Goode und Sweet Little Sixteen (Chuck Berry), „Hound Dog“(Elvis) und „Long Tall Sally“ . Dazu kamen noch etliche eigene Stücke und ellenlange Improvisationen zum Beispiel zum Thema von „April“ von Deep Purple.

Im Erdbeerparadies 1972. Hannes, Klaus-Peter Lohse (DJ), Arfie und Wölfi.

Die beruflichen Wege führten dann dazu, dass die Band im Sommer 1973 nach einen tollen Konzert im Kurpavillon am Wyker Strand aufgelöst wurde. „The Same Thing“ gehörte zu den ersten deutschen Independent-Bands, als noch niemand wusste, was das ist. Johannes war ein totaler Chuck-Berry-Fan, Wolfgang orientierte sich unter anderem stark an den Beatles und Arfst hörte viel von Eric Burdon (den er später noch persönlich kennenlernte), Rory Gallagher (auf dessen Grab bei Cork er im Jahr 2005 lag) und Muddy Waters. Dadurch kam eine Stilvielfalt zusammen, die ungeahnte Möglichkeiten in sich trug. Leider gibt es keine Schallplatten oder CD`s, da „The Same Thing“ eine reine Livebanmd war. Halt total „independent“.

„Wölfi“ Schiffner und Harro Bohn vor dem Diskothekenbus

Letzter Auftritt im EP Februar 1973.

Konzert bei Yussuf in Wrixum

„On the road again“

Arfie spielt „Gerdundula“ bei Yussuf in Wrixum wie kein zweiter…

Und gecovert wurden wir auch, 35 Jahre später: Mago de Oz

Soenke Drewsen am Bass bei Yussuf in Wrixum

Frank Tilgner an der Gitarre bei Yussuf

Das Konzert bei Yussuf in Wrixum. Hier: Gerdundula.

Besetzung von links: Sönke Drewsen, Frank Tilgner, Arfie, Jürgen Flor (am Schlagzeug) und Wölfi Schiffner.

Wolfgang „Wölfi“ Schiffner lebt heute in Hamburg und macht und produziert Musik (www.schallfeld.de), er wurde anschliessend Mitbegründer der Band Ara Pacis (zusammen mit Töns Deppe (g), Erk Braren (b) und Helmut Winkler (dr).)

Arfst „Arfie“ Wagner lebt in Schleswig-Holstein, ist Lehrer und versucht Sozialpolitik bei den GRÜNEN zu machen. Es gibt sogar ne Wikipedia-Seite von ihm.

Johannes Thomsen hat sich im Juli 2010 wieder gemeldet. Hannes! Wish you were here…

Uwe „Püffi“ Matthiesen ist an seiner schweren rheumatischen Erkrankung gestorben.

Harro Bohn lebt in Hamburg.

Von Frank Tilgner soll in Kiel leben. Sönke Drewsen ist Arzt irgendwo in Deutschland.

Larry Roos macht auch heute noch Musik und tritt häufig im Erdbeerparadies in Boldixum auf Föhr auf. Er hat „Junior`s Wailing“ immer noch spitzenmäßig drauf. Seine Band heisst „Joe`s Garage“.

Da „The Same Thing“ keine Platten aufgenommen hat, existieren nur noch Tapes von den Proben und Konzerten. Konzertbänder in Stereoqualität sind bei einem Brand im Erdbeerparadies zerstört worden. Der ehemalige Manager Jan-Dirk Groten hat wahrscheinlich noch Unmengen in seiner alten Kiste. Rück mal raus, damit, Dirk! 🙂

Das einzige bekannte Foto vom Abschiedskonzert im Kurpavillon. Hier Arfie an der Gitarre bei „Johnny B. Goode“, Harro am gesang in der Mitte und Erk Braren, später Bassist bei Ara Pacis

Na den kennt ja wohl noch jede(r) Rolf Robertson alias Rolf Ropertz.

Konzerte:

August 1969: am „Wyker Morsloch“ in der Besetzung Hannes Thomsen, Arfie Wagner, Püffi Matthiesen und als Gast Harro Bohn.

November 1970 Erdbeerparadies Boldixum. Besetzung: Hannes Thomsen (g), Wolfgang Schiffner (g), Arfie Wagner (dr, viol)

Februar 1971 Wyker Kurhaus. Besetzung: Hannes Thomsen (g), Wolfgang Schiffner (g), Arfie Wagner (dr, viol)

Juli 1971 Hotel Rugstieg, Wyk auf Föhr unter dem Bandnamen „The Weak“. Besetzung: Wolfgang Schiffner (G), Larry Roos (G), Arfie Wagner (dr)

März 1972: Erdbeerparadies Boldixum. Besetzung: Hannes Thomsen (g), Wolfgang Schiffner (g), Arfie Wagner (dr, viol)

Wolfgang Schiffner und Arfie Wagner live und kostenlos auf der Mittelbrücke in Wyk.

Juli 1972: Konzert m Strandpavillon am Wyker Südstrand als Vorgruppe zum Konzert der Föhrer Band „Blue Island“.

September 1972. Im „Friesenthal“ in Oevenum auf Föhr. Wolfgang Schiffner, Johannes Thomsen, Arfst Wagner.

November 1972. Wyk Kurhaus. Besetzung: Wolfgang Schiffner, Johannes Thomsen, Arfst Wagner.

Februar 1973: Erdbeerparadies Boldixum. Besetzung: Hannes Thomsen (g), Wolfgang Schiffner (g), Arfie Wagner (dr, viol)

März 1973: bei Yussuf in Wrixum. Besetzung: Wolfgang Schiffner (g), Arfie Wagner (dr u. violine), Johannes Thomsen (g), Frank Tilgner (g) und Sönke Drewsen (b)

Mai 1973: Einlage in der Pause des Auftritts von Otto Waalkes im Erdbeerparadies. Gespielt wurde „Gerdundula“, der Text wurde zugunsten von Otto Waalkes leicht verändert. Besetzung: Wolfgang Schiffnedr (g), Arfie Wagner (viol). Otto stellte mit diesem Auftritt das Programm seiner ersten LP vor, als „Gerdundula“ gespielt wurde, hopste er vor der Bühne im Takt mit.

Juni 1973 (letztes Konzert) Kurpavillon am Sandwall in Wyk auf Föhr. Besetzung: Hannes Thomsen (g), Wolfgang Schiffner (g), Arfie Wagner (dr, viol), Harro Bohn (voc.), Erk Braren (b)

Diskographie: Fehlanzeige.

Falls Du Kontakt wünscht, z. B. um die Band zu einem Revival zu motivieren, so maile bitte dem webmaster.

Unsere Lieblingsmusiker:

Johannes Thomsen:

Chuck Berry (www.chuckberry.com) (mehr, wenn er sich mal meldet)

Elvis Presley (www.elvis.com)

Arfie Wagner:

Son House (www.son-house.com)

Muddy Waters (www.muddywaters.com)

Eric Burdon (www.ericburdon.com) Eric! Let the good times roll! We met once at Rendsburg, Northern Germany.

Rory Gallagher (www.rorygallagher.com) A Million Miles away … and once back, Rory!

Alan Wilson (http://www.blindowl.net/index.html) und Canned Heat (www.cannedheatmusic.com)

I love you. Al!

Book fromRebecca Davis Winters: Blind Owl Blues. The mysterous life and death of blues legend Alan Wilson.

(In English). Homepage von Rebecca Davis Winters.

Roy Buchanan (www.roybuchanan.org)

Arfie 2009

und ei ei ei, wer hat denn da unseren Song GERDUNDULA geklaut??? 🙂 (Luna de Lubre)

und: (Mago de Oz)

und natürlich auch die, von denen WIR den Song geklaut haben: (Status Quo)

Wolfgang Schiffner:

Wolfgang Schiffner mit ARA PACIS on Tour 1978

Wolfgangs Schallfeld-Verlag

Links:

Wir vermissen die Friends vom Club 27 – Bilder und Page von David Holler

Rock`n Roll Roadmaps !!

Arfie`s musikalischer Lieblingslink: Tony „Wild T“ Springer: Hey Joe! Hey Tony, come back to Erdbeerparadies in 2010! I love you, Brother. And the women here love you too! Arfst

Arfie`s Marsch durch die Institutionen: www.arfst-wagner.de und www.bge-sh.de

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Begründungsrede zur Abschaffung der Sanktionierung http://arfst.kleineboote.de/2011/begrundungsrede-zur-abschaffung-der-sanktionierung/ http://arfst.kleineboote.de/2011/begrundungsrede-zur-abschaffung-der-sanktionierung/#comments Mon, 14 Nov 2011 17:36:05 +0000 http://cms.arfst-wagner.de/2011/68/ Liebe Freundinnen

Ich bin gebeten worden, den Antrag, uns auf Bundesebene für die Abschaffung aller Sanktionen von Hartz IV zu engagieren, hier und heute vor Euch zu begründen.

Wir wollten als GRÜNE bei Beschluss und Einführung des ALG 2 bzw. Hartz IV-Systems Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, motivieren, sich eine Arbeit zu suchen. Die „Macher“ von Hartz IV waren der Ansicht, Menschen müssten durch ein System, das durch die beiden Schlüsselworte „Fördern und Fordern“ beschrieben wurde, dazu motiviert werden, sich eine Arbeit zu suchen.

Heute wissen wir, dass diese beiden Worte für ein System stehen, das mit der Angst der betroffenen Menschen arbeitet und dass diese beiden Worte „Fördern und Fördern“ in der Praxis des Systems zu zwei anderen Worten mutiert sind, die die Praxis besser beschreiben: “Zwang und Kontrolle.“ Ich möchte sagen: massiven Zwang und entwürdigende Kontrolle. Die Arbeitslosen heißen „Kunden“, allerdings ohne Anspruch auf nur ein einziges einziges Kundenrecht.

Die Kontrollmechanismen des Hartz-Systems motivieren die Menschen nicht, sie demütigen sie und machen sie klein. Und dadurch geschieht das Gegenteil: sie werden demotiviert. Angst ist kein akzeptabler Antrieb, den wir als Grüne unterstützen dürfen. Deshalb fordern die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Antrags die Abschaffung dieser Sanktionen.

Dass es Menschen geben wird, die nicht bereit sind, Arbeiten zu übernehmen, wissen wir. Nicht in Lohnarbeit stehende Menschen leistet sich auch das jetzige System in Hülle und Fülle. Man kommt ihnen auch mit dem jetzigen System schwer bei.

Durch diese Sanktionen können Arbeitslose wegen Fehlverhaltens, angeblichem Fehlverhalten oder wegen der Unfähigkeit, sich dem teilweise komplizierten Verfahren einzugliedern, bis auf Null gekürzt werden. Dass das von den ARGEN auch so gehandhabt wird, hat mir der Leiter eines Sozialzentrums bestätigt. Er selbst lehnt in seinem Sozialzentrum diese Praxis ab. Wenn jemand grundsätzlich auf Null EURO Sozialleistungen reduziert werden kann, kann man nicht von „Grundsicherung“ sprechen. Wir als GRÜNE haben uns aber immer dafür eingesetzt, dass es sich wirklich um eine Grundsicherung handelt. Deshalb ist ein Wegfall der Hartz IV-Sanktionen der grünen Sozialpolitik immanent.

Wie sieht denn in Wahrheit die Situation auf dem Arbeitsmarkt aus. Wegen der Kürze der Zeit nur ein Hinweis: Monatlich bekommen wir die neuesten Arbeitslosenzahlen. Da heißt es: Fein, wir haben nur noch 2,8 Millionen Arbeitslose. Und weiter heisst es: und zudem haben wir 6,5 Millionen Hartz IV-EmpfängerInnen und 7,5 Millionen prekär Beschäftigte. Wie geht das? Das geht nur dadurch, das einfach etliche Gruppen von Menschen aus der Statistik herausgerechnet werden:

  • Alle über 56,
  • alle die von privaten Vermittlungsinstituten vermittelt werden
  • alle die sich in der Fortbildungsschleife befinden
  • alle ZeitarbeiterInnen,
  • alle aus Hartz unten Hinausgekürzten usw. usw.

Der genannte Leiter des Sozialzentrums hat mir bestätigt, dass wir bundesweit auf etwa 10 Millionen Arbeitslose kommen, wenn wir diese Gruppen alle mitzählen. Im dem von ihm geleiteten Sozialzentrum werden nicht vermittelbare Arbeitslose, die sich aber sozial engagieren, zum Beispiel durch Dichterlesungen im Stadtpark, unentgeltlicher Mitarbeit bei einer Zeitschrift oder ehrenamtliche Tätigkeit und bürgerlichem Engagement seit zwei Jahren nicht mehr überprüft. Er sagte mir: „Die bekommen von uns im Prinzip bereits ihr Grundeinkommen. Wir brauchen solche Menschen“.

Die Jobcenter und Sozialzentren könnten durch echte Hilfe und guter Beratung die Arbeitslosen ohne Angst und Druck viel besser motivieren, als durch das jetzige Verfahren.

Motivation durch Angst ist ein Armutszeugnis. Und nichts sollte uns Grüne dazu bewegen, ein solches Vorgehen länger zu unterstützen.

Robert sagte gestern in seiner tollen Rede: „Wir wollen die BürgerInnenbeteiligung nicht nur auf dem Papier!“ Die Abschaffung der Sanktionen würde eine echte Beteiligung für die Betroffenen Menschen ermöglichen. Und wir können doch nicht eine solche Beteiligung durch Angst erzwingen wollen.

Eine Randbemerkung für Unentschlossene: Die Abschaffung der Sanktionen spart sehr viel Geld ein. Und Angst ist eine Ursache für einen sehr großen Kostenfaktor im Gesundheitssystem.

Wir Grüne in Schleswig-Holstein haben uns vor einigen Jahren bereits für das bedingungslose Grundeinkommen als Zukunftsmodell ausgesprochen. Sicher, wir sehen derzeit aus mancherlei Gründen keine Möglichkeit, es umzusetzen. Aber durch die Streichung der Sanktionen wäre ein erster Schritt in diese Richtung getan. Aus dem Denken des Grundeinkommens und aus dem Selbstverständnis GRÜNER SOZIALPOLITIK ist meiner Ansicht nach die Streichung der Sanktionen eine logische und notwendige Schlussfolgerung.

Deshalb bitte ich Euch, liebe Freundinnen, diesem Antrag, wenn möglich mit ganzem Herzen und mit deutlicher Mehrheit zuzustimmen.

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Theodore Roszak: Arbeit – das Recht auf rechten Lebenserwerb http://arfst.kleineboote.de/2010/theodore-roszak-arbeit-das-recht-auf-rechten-lebenserwerb/ http://arfst.kleineboote.de/2010/theodore-roszak-arbeit-das-recht-auf-rechten-lebenserwerb/#comments Wed, 14 Apr 2010 20:05:44 +0000 http://cms.arfst-wagner.de/2010/theodore-roszak-arbeit-das-recht-auf-rechten-lebenserwerb/ Theodore Roszak

Arbeit: Das Recht auf rechten Lebenserwerb

Der Mensch braucht die Arbeit mehr als den Lohn; sie prägt  der Materie das Siegel des Menschen auf und leiht sich ihm als Ausdrucksmittel. Arbeit, körperliche Arbeit, ist für neun Zehntel der Menschheit die einzige Möglichkeit, ihren Wert in dieser Welt zu erweisen.
Lanza del Vasto

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Job ist Tod ohne die Würde.
Brendan Behan

Wenn ich an meine frühesten kindlichen Wahrnehmungen der Arbeit zurückdenke, so bilden sie zusammen eine Fibel elementarer Lektionen, die vermutlich seit Generationen zum Gedankengut unserer Gesellschaft gehören. Sie sind das Evangelium der amerikanischen Arbeitsethik, wie es mir durch allgegenwärtige Beispiele und unausgesprochene Selbstverständlichkeiten vermittelt wurde. Es lautet etwa so:

– Kinder spielen. Erwachsene arbeiten. Arbeit macht einen offiziell zum Erwachsenen. Erwachsene müssen arbeiten, oder sie kriegen kein Geld, um sich Sachen zu kaufen und sich zu vergnügen.

– Arbeit muß man sich da draußen in der Welt suchen. Man bewirbt sich und konkurriert darum. Andere Leute geben sie. Man nennt sie Chef, und sie geben einem Arbeit als Belohnung dafür, dass man die richtige Sorte Mensch ist. Sie müssen einem keine Arbeit geben und können sie einem auch jederzeit wieder wegnehmen. Deshalb soll man sich wünschen, ein guter Arbeiter zu sein – dann verliert man seine Arbeit nicht und muß nicht arm sein.

– Arbeit ist das, wohin die Väter morgens für den ganzen Tag gehen. Das ist eine ernste Sache, denn die Familie lebt davon, und es ist geheimnisvoll, weil es irgendwo weit weg passiert – an einem Ort, den man Büro oder Fabrik oder Geschäft nennt. Die meisten Mütter arbeiten zu Hause, aber das zählt nicht als .richtige‘ Arbeit. ‚Richtige‘ Arbeit ist etwas, wofür man bezahlt wird. Je mehr man verdient, desto wichtiger ist man. Die beste Arbeit kriegen immer die, „Schlauen’“ Da verdient man massenhaft Geld und muß fast nichts dafür tun – vor allem nichts, was mit Muskelkraft oder Dreck zu tun hat. Was die Schlauen machen, nennt man „Arbeit mit dem Kopf.“

– Arbeit muß man nicht unbedingt mögen. Die meisten Leute beklagen sich über ihre Arbeit genau wie die Kinder über die Schule. Die Schule ist dazu da, einen auf das wirkliche Leben vorzubereiten, nämlich den ganzen Tag eine Arbeit zu tun, die man nicht mag. Solange man Kind ist, geht man Spielen — wenn man nicht in der Schule ist. Ist man aber offiziell erwachsen, dann hört man auf zu spielen, sucht sich eine Arbeit und hat Verantwortung. Verantwortung haben, das heißt: Spaß gibt es nur noch am Wochenende und im Urlaub … es sei denn, man gehört zu den Schlauen. Die Schlauen wissen, wie man `vorwärts kommt` und dann eines Tages `eine ruhige Kugel schieben‘ und sich nur noch amüsieren kann.

– Leute, die nicht arbeiten, sind entweder sehr arm oder sehr reich. Arme Leute, die nicht arbeiten, sind faul und verachtenswert. Versager und Schnorrer. Reiche Leute, die nicht arbeiten, haben halt ,Glück‘. Sie sind vielleicht auch nicht gerade die Leute, die einem gefallen, aber zumindest sind sie keine Schnorrer. Sie verdienen es, nicht arbeiten zu müssen, denn sie sind erfolgreich. Wer schlau ist, wird wie sie.

– Die Arbeit verlieren ist eines der beschämendsten und schrecklichsten Dinge, die einem passieren können; man muß dann nämlich stempeln gehen, und die Leute denken, man sei ein Schnorrer. Deswegen muß man hart arbeiten und sich unentbehrlich machen, selbst wenn man seine Arbeit hasst.

Working poor – arme Malocher

Wie die meisten Kinder nahm ich diese Lehren durch Osmose aus meiner Umwelt auf. Sie wurden nie Diskussionsgegenstand – was gab es da zu diskutieren? Arbeit war das, wozu man aufwuchs; sie gehörte einfach zum Menschsein. In meiner Familie mit ihrem fast sprichwörtlichen Einwandererschicksal, kam niemals jemand auf den Gedanken, dass es kulturell bedingte Formen der Arbeit geben könnte, dass die Arbeit wie die Speisen, die wir essen, ein Material sein sollte, das wir nach unserem Geschmack zurichten. Als meine Großeltern aus Osteuropa hier ankamen, stand an ihrem Himmel dieser eine Fixstern: ihre Bereitschaft zu arbeiten – ohne Fragen zu stellen oder Schwierigkeiten zu machen. Arbeit war ihre einzige Chance, sich als Amerikaner zu beweisen und durchzusetzen. Vom Schiff herunter wanderten sie schnurstracks in die Gruben, Geschäfte und Fabriken, dankbar und froh um jede Arbeit, die sie finden konnten. Allmählich rackerten und sparten sie sich in die unteren Randbereiche jener wuchernden Zusammenballung namens Mittelklasse vor. Arbeit war Anfang und Ende, Mittelpunkt und Substanz ihres Lebens; sie qualifizierten sich damit zu nützlichen Bürgern. Überdies war das Arbeitsethos Fundament ihrer Sicherheit und Selbstachtung. Wenn alles schief ging und zusammenbrach wie während der Weltwirtschaftskrise, konnten sie auf ihre Bereitschaft zurückgreifen, jede Arbeit bis zum Umfallen zu verrichten.

Dennoch besaßen sie einen merkwürdigen Stolz auf ihre Arbeit. Ich erinnere mich lebhaft, wie mein Vater jedes Mal die Familienlitanei herbetete, wenn er beleidigt oder ungerecht behandelt worden war. „Ich habe für jeden Pfennig schwitzen müssen … Ich habe nie was umsonst gekriegt … niemand aus dieser Familie hat jemals um Wohlfahrtsunterstützung gebeten …“ Es war ein Stolz, in den sich Bitterkeit mischte, denn mein Vater hat (wie sein Vater) nie Befriedigung in der Arbeit gefunden, für die man ihn anstellte. Er verabscheute und verfluchte alle seine Jobs. Er war ein begabter Tischler, doch abgesehen von ein paar gescheiterten Versuchen, sich selbständig zu machen, verbrachte er sein ganzes Arbeitsleben als unterbezahlter Zimmermann und bekam nie ein gutes Wort für seine Arbeit. Er verachtete seine Arbeitgeber und die Aufträge, die sie ihm erteilten; sie mussten immer nur schnell und billig ausgeführt werden – seine Fertigkeiten waren nicht gefragt. Am schlimmsten war aber, dass er sich schließlich selbst verachten lernte als einen von hundert Millionen Namenlosen, der auf den unteren Sprossen der sozialen Leiter steckenblieb und keine Chance hatte weiterzukommen.

`Working poor‘ ist unsere soziale Kategorie für Familien wie meine, für Leute, die sich nur dadurch über Wasser halten, dass sie jede Woche zehn bis zwanzig Überstunden einlegen. Überstunden wurden bei uns zu Hause wie himmlisches Manna gefeiert; mein Vater kündigte sie wie die Aussicht auf bessere Zeiten an. Aber dann arbeitete er schwerer denn je, und das sah man. Abends schleppte er sich hundemüde und reizbar nach Hause, und am nächsten Morgen machte er sich mit verquollenen Augen und unrasiert wieder auf; beim aufgewärmten Abendessen murrte er darüber, wie viel weniger in seiner Lohntüte war, als er eigentlich verdient hatte. Und die ewige Klage: die Arbeit war seiner nicht würdig. Es war stupide Pfuscherei, nichts wurde achtsam oder sachgerecht ausgeführt.

Die harte Arbeit brachte meinen Vater früh um – mit sechsundvierzig. Er starb an Herzversagen und (wie ich glaube) Demoralisierung – und hinterließ nicht genügend Geld für ein anständiges Begräbnis. Meine Mutter musste seine Lebensversicherung für diesen Zweck aufbrauchen.

Trotz seines kämpferischen Stolzes auf seine ,harte Arbeit‘ riet er mir ständig: „Arbeite nie mit den Händen. Geh aufs College. Wenn du mit den Händen arbeitest, bist du in dieser Welt einen Scheißdreck wert.“ Sein Stolz war das einzige, was er dem Gefühl hilflosen Ausgeliefertseins entgegensetzen konnte. Er hatte allen Anspruch auf Selbstachtung, denn er besaß edle und nützliche Fertigkeiten. Er konnte Häuser und kunstvolle Möbel bauen und wusste, wozu ein Werkzeug wirklich gut war. Ich habe mit verantwortlichen, leitenden Papierkramern zu tun gehabt, die für die Welt nichts leisten, was sich mit einem einzigen guten Tisch oder Stuhl meines Vaters messen könnte. In einer anderen Zeit wäre er ein geachteter Mann gewesen, aber darauf konnte er seinen Stolz nicht mehr gründen, denn er wusste, dass er irgend jemandes missbrauchter Angestellter war, ein Mietknecht von Leuten, für die er nur schnelles Geld bedeutete. Seine Selbstachtung war also mit Zorn und Neid behaftet; wenn er sich damit brüstete, hart zu arbeiten, versuchte er nur, aus einer verhassten Not eine dürftige Tugend zu machen. Letztlich war sein Stolz nur Ausdruck ohnmächtigen Grolls.

Wenn ich höre, wie Politiker und Gewerkschafter darüber reden, ,den Menschen Arbeit zu geben‘, frage ich mich, ob ihnen klar ist, wie erbärmlich wenig damit erreicht wäre. Was bedeutet ‚Vollbeschäftigung‘ für Menschen wie meinen Vater, deren tägliche Arbeit nur Demütigung und Quälerei ist? Genügt es immer noch, einfach zu zählen, wie viele Menschen Arbeit haben – ohne danach zu fragen, ob sie auf ihre Arbeit auch stolz sein können? Wann werden wir wohl anfangen, nicht mehr nur quantitativ nach den Beschäftigungsverhältnissen zu fragen, sondern auch qualitativ? Anders gefragt, wann werden wir anfangen, Menschen nicht mehr als statistische Einheiten zu betrachten, sondern als Personen?

Noch etwas fällt mir ein, wenn ich an das Arbeitsleben meines Vaters denke – in meiner Jugend habe ich mich darüber immer gewundert. Jedes Jahr bekam mein Vater zwei lumpige Wochen bezahlten Urlaub. Wenn es so weit war, schwor er jedes Mal, er würde die ganze Zeit nur im Garten liegen und faulenzen. Und das tat er auch… die ersten zwei oder drei Tage. Er saß mit einem Bier und dem Radio unter einem Baum und tat nichts. Aber bald hämmerte er schon wieder irgendwo im Haus herum und richtete ein Zimmer her; oder er baute in der Garage irgendwelche Möbelstücke; oder er kletterte unter den Dielenbrettern herum und reparierte das Fundament. Danach war er dann genauso müde und verdreckt, wie er von der Arbeit zu kommen pflegte, aber jetzt war er nicht mürrisch und beklagte sich nicht. Er freute sich, wie gut die Sache voranging, oder machte sich Planskizzen und knobelte die beste Lösung aus.

Einen Sommer schuftete er sogar den ganzen Urlaub lang zehn bis zwölf Stunden täglich und half einem Nachbarn, der zwei linke Hände hatte, eine neue Veranda zu bauen. Eine Flasche Whisky war alles, was er dafür bekam. Als meine Mutter ihn fragte, weshalb er das auf sich nahm, sagte er: „Weil ich nicht da draußen sitzen und zusehen kann, wie er da rummurkst. Das macht mich verrückt.“

Das wahre Ausmaß der Entfremdung

Wenn es je ein Beispiel für Entfremdung im klassischen marxistischen Sinn des Wortes gegeben hat, so war es mein Vater. Er war der Proletarier schlechthin: ökonomisch wie psychologisch völlig ausgeliefert. Er hat nicht einmal den Weg in eine Gewerkschaft gefunden, um seine Rechte zu wahren. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, konnte er nichts weiter tun, als seine Arbeitskraft verkaufen, und das genügte nicht einmal. Er musste auch noch seine Selbstachtung verkaufen. In diesem Akt der Resignation liegt mehr als persönliches Leiden. Eine ehrwürdige Handwerkstradition wird dabei tödlich vergiftet und der Sinn anständiger Arbeit für uns alle bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

Ich habe jedoch im Laufe der Jahre – vor allem durch eigene Erfahrungen in verschiedenen Jobs, vom Hilfsarbeiter bis zu meinem jetzigen Beruf – sehen gelernt, dass sich am Beispiel meines Vaters gerade erst die Anfänge des Problems entmenschlichter Arbeit zeigen. Seine Erfahrung ist eigentlich nur die Grundlinie, von der aus man die weiterreichenden Formen der Entfremdung ermessen kann. Von unserem personalistischen Standpunkt aus betrachtet, liegt das eigentliche Problem nicht bei denen, die wie mein Vater elend und verbittert sind, sondern dort, wo Ausbeutung und Entfremdung stillschweigend hingenommen werden.

Man braucht nicht über die konventionelle Analyse der Linken hinauszugehen, um zu erkennen, dass ein mit Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung zum Schweigen gebrachter Arbeiter immer noch ein ausgebeuteter Arbeiter ist. Auch wenn man die äußeren Umstände so gestaltet, dass die Arbeit entspannter und abwechslungsreicher wird (klimatisierte und mit Teppichböden ausgelegte Büros, Musikberieselung, strategische Zäsuren durch Kaffeepausen in der ansprechend eingerichteten Kantine), bleibt es eine entfremdete Beschäftigung, selbst wenn die unter solchen entschärften Bedingungen arbeitenden Menschen ausnahmslos guter Dinge wären. Ihre Arbeit gehört ihnen trotzdem nicht; sie ist immer noch kein Akt ihrer eigenen Wahl und nach ihren eigenen Vorstellungen ausgeführt. Sie bleiben abhängig von der Gunst ihrer Arbeitgeber und Chefs; sie haben nach wie vor nicht die Macht zu entscheiden, zu was ihre Arbeit letztlich benutzt wird; sie besitzen weder die Produktionsmittel noch die Früchte ihrer Arbeit. Sie arbeiten immer noch als Produktionsinstrument in der Verfügungsgewalt von Kräften, die sie nicht beherrschen und vielleicht nicht einmal verstehen.

In den Jahren, bevor ich Lehrer und Schriftsteller wurde, habe ich in unsagbar trostlosen und gefährlichen Fabriken gearbeitet. Zum Beispiel in einer Verchromerei, wo ich ständig bis über die Schuhe im Dreck stand und die Dämpfe von brodelnder Säure einatmete. In einer Boilerfabrik erwartete man von mir allen Ernstes, dass ich meine Trommelfelle einer Arbeit am Niethammer aufopferte, die kaum das Lebensminimum abwarf. Der Chef musste den fast tauben Arbeiter, den ich ersetzen sollte, anschreien, um ihm mitzuteilen, dass ich seine Arbeit übernehmen würde. Ich sagte, ich wollte mehr Geld für so einen Job – und war auch schon gefeuert. Die schiere Grauenhaftigkeit solcher Arbeit liegt auf der Hand; niemand muß erst davon überzeugt werden, dass sie ausbeuterisch und entwürdigend ist.

Aber ich habe auch in `White-Collar-Jobs‘ gearbeitet, wo man den Angestellten alle erdenklichen Annehmlichkeiten bot. Bei einer Versicherungsgesellschaft sorgte das Personalbüro jede Woche für ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm: Picknicks und Theaterabende, Baseballspiele und Amateur-Talentshows, Ausflüge, manchmal sogar mit gecharterten Flugzeugen. Für alles war hier gesorgt: Kapitalsparen, Geldanlage, verbilligter Einkauf, medizinische Versorgung, Pension. Jeder schwangeren Sekretärin ihre Geschenkparty; Geburten, Sterbefälle, Hochzeiten, Pensionierungen wurden in der wöchentlichen Hauszeitung bekannt gegeben (mit den großzügigen Beiträgen, die die Firma dazu geleistet hatte). Die Flure waren mit Teppichen ausgelegt; das Essen in der gepolsterten Kantine war billig und nahrhaft; hatte man Geburtstag, so bekam jeder in der Abteilung einen kleinen Napfkuchen mit einer Kerze drauf.

Es gab da Leute, die ihre Firma liebten. Sie machten all die vielen lustigen Sachen mit. Es war ihre ganze Freude und füllte den größten Teil ihres Lebens aus. Es war ihnen wirklich wichtig, dass `unsere´ Firma gegenüber der Konkurrenz eine gute Figur machte. Aus meiner Arbeit in der Abteilung ‚Schadensregulierung‘ wusste ich, dass gerade diese Firma einige äußerst windige Kranken- und Unfallversicherungen verkaufte. Sie weigerte sich auch, Juden oder Schwarze einzustellen. Aber das ging mich natürlich nichts an. Auch nicht die durch und durch reaktionären Schliche, mit der die Gesellschaft ihren Einfluss in der Stadt wahrte. Gewerkschaften waren nicht vertreten; es herrschte das unausgesprochene Einverständnis, dass man so was hier nicht brauchte. Und die Personalabteilung hörte sich zwar alle Beschwerden und Vorschläge bereitwillig an, aber es gab kein geregeltes Beschwerdeverfahren, alles stand einzig und allein im Ermessen dieser Leute. Die Firma hatte sich die Herzen ihrer Angestellten gewonnen, ohne dafür irgendeines ihrer kapitalistischen Vorrechte aufgeben zu müssen.

Ich glaube, dass man innerhalb der nächsten Generation auch in anderen Bereichen der Wirtschaft immer mehr für das ‚Betriebsklima‘ tun wird. Die Literatur über Arbeitsunzufriedenheit schwillt jedes Jahr weiter an. Krankmachen, hohe Fluktuation und Industriesabotage gelten gegenwärtig als große Hindernisse für Disziplin und Produktivität. Deshalb steht ‚Verbesserung der Arbeitsbedingungen‘ auf der Tagesordnung der Industrie ganz oben; Regierung und Wirtschaft haben Forschungszentren eingerichtet und überall laufen einfallsreiche Experimente. Zweifellos gibt es langweilige und schmutzige Arbeiten, an denen sich kaum etwas `verbessern‘ lässt: Bergbau, Abfallbeseitigung, Fließbandarbeit, stumpfsinnige Schreibarbeit. Aber selbst da kann man der Unzufriedenheit noch die Schärfe nehmen: Gleitzeit, Profitbeteiligung, job sharing, Teamarbeit, mehr Pausen, wechselnde Aufgaben. Die letzten Tarifverträge in der Autoindustrie sehen Feiertagszulagen, bezahlte Freizeit und größere Beteiligung der Gewerkschaften an Entscheidungen vor, die nicht nur Löhne und Überstunden, sondern auch die Arbeitsumstände betreffen.

Am Beispiel Japan ist zu erkennen, dass der industrielle Kapitalismus noch allerhand Spielraum für die Verbesserung der Arbeitsumstände hat. Dort ruhen viele der Dienste, die im Westen der Wohlfahrtsstaat versieht, in den Händen der Unternehmen, die sich mit ihrem milden Paternalismus Loyalität und Treue ihrer Arbeitnehmer sichern können. Vielleicht wird die nächste Phase des Kapitalismus sich auf Robert Owens vorausschauende Experimente in New Lanark (Schottland) besinnen, mit denen er schon am Beginn der Industriellen Revolution bewies, dass selbst größere Investitionen für ein gutes Betriebsklima sich mehr als bezahlt machten. Owen hatte schon damals recht, doch Anfang des 19. Jahrhunderts hatte primitive Raffgier seine Mit-Kapitalisten für solche Einsichten blind gemacht – mit dem Ergebnis, dass der Kapitalismus in den Augen seiner Kritiker nun für alle Zeiten als entwürdigend und brutal gilt.

Das war aber, wie Marx in seinen besten analytischen Passagen erkannte, nie das Wesen der kapitalistischen Beschäftigungspolitik. Der fundamentale Akt der Entfremdung in der Industriellen Revolution war die Unterordnung der Arbeit unter das Geld, so dass Arbeit – jede Arbeit und alle Arbeit – eine abstrakte Ware wurde, die zu nichts weiter mehr da war, als das Geld zu verdienen, mit dem man alles Lebensnotwendige und (vielleicht) ein bisschen Freizeit kaufen konnte. „Die Entfremdung“, so schrieb Marx, „zeigt sich nicht nur im Resultat, sondern im Akt der Produktion …“ Sie besteht darin, „dass die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, dass er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt.“*

In besonders klarsichtigen Augenblicken erkannte sowohl Marx als auch Engels, dass Entfremdung in diesem tieferen Sinn nicht nur für den Kapitalismus kennzeichnend ist, sondern für jedes hochindustrielle System – vor allem wenn eine große Wirtschaftsmacht dahinter steht. Da sie aber davon überzeugt waren (und nach ihnen Lenin und Stalin), dass die Medizin der Revolution irgendwie alle Krankheiten der Gesellschaft heilen würde, verfolgten sie diese Sache nicht weiter. Es blieb ihrer radikalen Opposition überlassen, den Anarchisten, die sie so sehr verachteten, vor solchen großen Systemen zu warnen: sie sind so tief in eigennützige Nationalinteressen und den ewigen Rüstungswettlauf verstrickt, dass sie auf das menschliche Maß des Lebens keine Rücksicht nehmen können und bei der Arbeit nicht mehr auf persönliche Verwirklichung, sondern nur noch auf Produktivität schauen. Die schiere physische Last der Arbeit mag ein wenig gemildert werden, aber dafür stellen wir dann fest – und zwar sowohl in privatwirtschaftlichen wie in kollektivistischen Wirtschaftsformen –, dass unser Arbeitsleben mit cleveren Strategien infiltriert wird, die Manager und Planer sich ausdenken, um sich unserer Ergebenheit zu sichern und unsere Kräfte zur höheren Ehre des Systems zu manipulieren.

Wir mögen sogar zu Formen der Arbeiterselbstverwaltung und der industriellen Demokratie kommen, doch an der Tatsache, dass unsere Mitbestimmung stets von gewissen abstrakten Imperativen beschränkt bleibt, ändert sich dadurch nichts: Effizienz, Wachstumsrate, das Machtgleichgewicht in der Welt usw. .Mitbestimmung‘ ist in vielen westeuropäischen Staaten ein Modewort und ein politisches Hauptthema der Regierungen geworden; sie wird als Mittel zur Besänftigung der Unzufriedenheit verstanden, die umfassender Planung auf der Ebene des Gemeinsamen Markts im Wege steht. Vielleicht sind auch ehrliche Absichten im Spiel, doch sollten wir nicht vergessen, dass auch die Konzentrationslager der Nazis auf .Mitbestimmung‘ beruhten, auf der Überwachung von Insassen durch Insassen für bestimmte Vergünstigungen.

Verantwortung und Berufung

Nichts von den Verbesserungen, die ich erwähnt habe, nicht einmal die geniale Methode der Chinesen, den Altruismus zu kollektivieren, geht an die Wurzeln der Entfremdung. Ich will nicht sagen, dass diese Reformen nichts ändern, denn sie haben das Arbeitsleben gewiss erfreulicher und sicherer gemacht, als es in den schlimmsten Tagen der Lohnsklaverei war – aber sie ändern nicht in der richtigen Weise. Sie mögen in vieler Hinsicht notwendig sein, aber sie reichen nicht aus. Sie verändern die Arbeitsatmosphäre und den Arbeitsanreiz, doch sie rehabilitieren nicht die Arbeit selbst, solange sie nicht die Person ins Zentrum des wirtschaftlichen Lebens stellen. Die genannten Reformen, auch weitreichende industrielle Demokratie, müssen nichts an der totalen Unpersönlichkeit der Arbeit ändern, an einer Massenproduktion und Massenbürokratie, die Dinge und Dienstleistungen auf den Markt werfen, in die niemand seine Ehre gelegt hat, seinen Namen und seinen Stil. Und das ist nach wie vor Arbeitnehmertätigkeit – Arbeit, die getan wird, weil andere es anordnen, oder weil das System bestimmt, dass sie von irgendwem getan wird.

Viele Verbesserungen sind durchaus mit industriellem Riesenwuchs vereinbar; sie können sogar Integration und Effizienz großer Wirtschaftssysteme verbessern. Selbst das Ideal des Dienens (des Dienstes an Nation, Volk und Staat) ist in unserer Zeit von despotischen und entmenschlichten Kräften eingespannt worden. Die schlimmsten totalitären Regime des 20. Jahrhunderts haben den Patriotismus der Menschen ausgenutzt, um ihnen unsägliche Opfer abzupressen. Das ist die Gefahr, die in jeder Form kollektivierter Moral liegt: die Menschen werden nicht angehalten, sich in ihrer Arbeit zu finden, sondern sich im Dienst an kollektiver Macht zu verlieren. Sich in diesem Sinn zu verlieren, heißt aber, dass man die Verantwortung für die eigene Arbeit aufgibt.

Verantwortung — da haben wir den Faktor, der sowohl in kapitalistischer Verbesserung der Arbeitsumstände als auch in kollektivistischer Arbeitsmoral fehlt, das entscheidende Kriterium für den Unterschied zwischen bloßer Lohnarbeit und wahrer Berufung. Wer eine Berufung hat, arbeitet verantwortlich – nicht in einem bloß juristischen Sinn, auch nicht in dem Sinn, dass er Angst hat, als Drückeberger bezeichnet und der Partei gemeldet zu werden, sondern in dem Sinn, dass er mit seiner Arbeit identisch ist; sie erwächst aus seiner Entscheidung über das, was er in diesem Leben werden möchte, und deshalb ist er eins mit ihr. Wir nehmen unsere Berufung wichtig, denn wenn sie mißbraucht wird oder sich als nicht tragfähig erweist, wird alles in Frage gestellt, was unserem Leben seine bestimmte Gestalt und seinen Sinn gibt.

Es ist ein Grundzug menschlicher Erfahrung: Ich fühle mich – außer in einem ganz abstrakt juristischen Sinn – nicht für eine Arbeit verantwortlich, die keinen persönlichen Sinn hat; schon gar nicht für eine Arbeit, die ich verachte. Sinnlose Arbeit, verachtenswerte Arbeit, das ist Arbeit, an der andere schuld sind; ich erachte sie als bloße Notwendigkeit, als auferlegte Pflicht. Vielleicht schäme ich mich sogar, mein Leben an solche Arbeit zu verschwenden. Ich sage mir (und insgeheim auch der Welt: „Ich verrichte sie nur, weil ich das Geld, den Titel, den Ruf, die Publizität brauche. Ich tue etwas, das mein Chef oder das System verlangt. Ich habe diese Arbeit nicht erfunden, ich glaube nicht an sie, ich billige sie nicht. Wenn es nach mir ginge, würde ich etwas anderes tun. Macht mich also nicht für die Verschwendung, die Sinnlosigkeit und die Kriminalität dieser Arbeit verantwortlich.“

So versuche ich, mich von meinem Job zu distanzieren, und das ist ein Akt der Entfremdung: Rückzug des Selbst aus dem Geschehen. Arbeit wird dann ein fremdes Objekt, das allenfalls Mittel zum Zweck ist, aber nicht zur eigentlichen Identität gehört. Entfremdung betrifft nicht nur, wie die radikale Linke seit jeher behauptet, die Produktionsmittel und das Produkt der Arbeit, sondern die Tätigkeit selbst, und nur deshalb können wir die Verantwortung für unser Tun ablehnen. Und dies tritt ganz gewiss ein, wenn die Arbeit keine Ansprüche an besondere Fertigkeiten stellt; sie bietet dann keine Herausforderung, keine Ansatzpunkte für persönlichen Stil. Arbeit dieser Art ist ein Nichts, ein Loch in der Mitte des Lebens. Sie ist verschwendetes Leben, und nichts macht uns zorniger und rebellischer als die Erfahrung, dass ein kostbares Stück Leben uns einfach abgepresst, gestohlen und dann für irgendeinen Zweck verbraucht wird. Wir ziehen uns in eine Fantasiewelt zurück, stellen uns vor, woanders zu sein, andere Dinge zu tun … wir beobachten die Uhr, machen Pläne fürs Wochenende. Wir sind überall, nur nicht hier bei und in unserer Arbeit. Ich spreche von einer zweifachen Verantwortung, nämlich gegenüber unserer Arbeit und für unsere Arbeit. Wenn wir eine Berufung haben, sind wir unserer Arbeit gegenüber dafür verantwortlich, sie gut zu tun; und wir sind für unsere Arbeit in dem Sinn verantwortlich, dass sie einem guten Zweck dienen muß. Bei einer Arbeit, zu der wir berufen sind, wollen wir das Gute in beiden Hinsichten verwirklicht wissen: gut ausgeführt und ethisch richtig. Nur eine Kraft, nämlich Liebe, kann diese doppelte Verantwortlichkeit sichern – unsere Liebe zu der Arbeit, die wir tun. Wie man nicht über Berufung reden kann, ohne zugleich über Verantwortung zu sprechen, so kann man auch nicht von Verantwortung sprechen, ohne dass von Liebe die Rede ist. Gegenüber welchen Dingen und für welche Dinge können wir verantwortlich sein? (Ich sage können, nicht sollten, denn ich frage nur nach der psychologischen Tatsache, nicht nach rechtlichen Handhaben.) Wie auch immer Gesetz und öffentliche Meinung unsere Pflichten definieren, verantwortlich fühlen wir uns nur gegenüber dem und für das, was wir lieben. Wenn wir einen Freund, ein Kind, eine Gemeinschaft lieben, wünschen wir ihnen die volle Verwirklichung ihrer Schönheit und Würde; und in dem Maß, wie wir an diesem Projekt beteiligt sind, fühlen wir uns mitverantwortlich für das, was sie werden und tun. In unserer Liebe sind wir eins mit ihnen, und wir würden uns nicht von ihrem Schicksal lösen, selbst wenn wir es könnten.

In seiner Weisheit machte Buddha den „rechten Lebenserwerb“ (ein weiterer Ausdruck für Berufung, glaube ich) zu einem der Schritte zur Erleuchtung. Wenn wir unsere Diskussion nicht so weit vorantreiben, können wir Arbeit nie in ihrer wahren Dimension betrachten und geben uns mit viel zu wenig zufrieden – vielleicht mit nicht mehr als einem Gehalt. Verantwortliche Arbeit ist eine Verkörperung der Liebe, und nur Liebe kann die Persönlichkeit gestalten und den Geist für ein tätiges Leben einigen und festigen. Auf wahre Berufung trifft das Paradox der Selbsterkenntnis zu – wir finden uns selbst, indem wir uns verlieren. Wir verlieren uns in der Liebe zu der Aufgabe, mit der wir gerade beschäftigt sind, und in dem Augenblick erfahren wir eine Identität, die sowohl in uns liegt als auch über uns hinausgeht.

Was soll der höchste Yoga anderes sein als die Arbeit, der wir uns jeden Tag zuwenden?

„Nimm diesen Job und schmeiß ihn hin“

Jeden Tag bewege ich mich durch eine Welt der Arbeit, einen Ozean menschlicher Aktivität, so allgegenwärtig und selbstverständlich wie der Ozean der Luft um mich her. Ich atme die Arbeit der Menschen ein, ich lebe von ihr und nehme sie als gegeben hin. Die Leute arbeiten, ich arbeite. Dazu sind wir hier; damit verbringen wir unsere Zeit. Doch unsere Arbeit ist mehr als ein Zeitvertreib. Sie ist unser Leben. Sie verbraucht Jahre von der Zeit, die uns zugeteilt ist, um unser Heil zu finden. Und nicht viele von uns arbeiten an einer Berufung … manchmal glaube ich, fast niemand. Manche, wie mein Vater, verbrauchen ihre Substanz bei schwerer und schmutziger Arbeit, die ihnen zuwenig Verdienst und Anerkennung einbringt. Die meisten plagen sich mit Arbeiten, bei denen die tödliche und unpersönliche Routine das Schlimmste ist: Tippen, Archivieren, Sortieren, Verkaufen, Formulare ausfüllen, Papier bearbeiten.

Ich habe selbst solche Arbeiten verrichtet und muß es immer noch. Ein Teil meiner Pflichten als Lehrer in einem gigantischen state-college-System besteht in stumpfsinnigem Papierkram und administrativen Routineaufgaben, die nichts mit Forschung und Lehre und wenig mit schlichter Intelligenz zu tun haben. Musste irgendeiner von uns wirklich erst Studs Terkels Bericht Working lesen, um zu erfahren, was der tödliche tägliche Zoll entfremdeter Arbeit ist? „Ich fühle mich wie eine Maschine“, „Ich fühle mich wie ein Roboter“, klagen die Interviewpartner Terkels. (1) Während ich dieses Kapitel überarbeite, erreicht eine Platte mit dem Titel „Take This Job and Shove It“ („Nimm diesen Job und schmeiß ihn hin“) die Spitze der amerikanischen Hitparade. Dass wir die Klagen der Menschen um uns herum nicht hören, liegt nur daran, dass wir nicht verstehen, was sie hinter ihrem heroischen Humor, dem Schutzschild ihrer Selbstachtung, zu sagen haben. Schaut man aber genauer hin, so steht die erstickte Personalität ihnen ins Gesicht geschrieben; sie wirkt in den Träumen, denen sie jeden Tag während der Arbeit nachhängen und die immer wieder zu Fehlern und Versehen führen; sie zeigt sich in Verdrossenheit und übler Laune. Ich habe das an mir selbst erlebt, wenn ich spürte, dass wertvolle Stunden meines Lebens von Beschäftigungen zu Asche gemacht werden, bei denen das Beste, was ich zu bieten hatte, nicht gefragt war; wenn ich Anordnungen von Arbeitgebern auszuführen hatte, die sich nicht für die Anlagen interessierten, die ich in mir spürte und die gefordert werden wollten.

Jeder von uns hat eine ganz eigene Begabung, eine Berufung, die auszuüben höchstes Vergnügen ist, selbst wenn wir schwitzen und leiden müssen, um ihr gerecht zu werden. Diese Berufung wünscht sich einen realen und nützlichen Platz in der Welt, eine Aufgabe, die nicht Vergeudung oder bloßer Schein ist. Könnte dieser Leben spendende Impuls freigesetzt und als Energie unserer täglichen Arbeit nutzbar gemacht werden, hätten wir die Chance, mit der ganzen Kraft unserer Persönlichkeit – Geist und Körper, Herz und Seele – in unserer Arbeit zu sein … welche gewaltigen Kräfte würden dann freiwerden! Sie könnten mehr erreichen und verändern als die ganze Macht industrieller Technologie.

Doch sie – die Firma, das System – haben selten Verwendung für diese Berufung. Unsere Chefs suchen sie nicht einmal in sich selbst. Sie ändert nichts an Gewinn oder Verlust; sie schlägt sich nicht in den ökonomischen Indikatoren nieder (so glauben jedenfalls die Experten). So wischen sie sie einfach vom Tisch und behandeln uns weiter als Personal, nicht als Personen. Das muß ein Chef beherrschen, wenn er in dieser verdrehten Wirtschaft erfolgreich sein will: blind sein für die Personalität seiner Arbeiter — Geschäft ist Geschäft. Solche Behandlung lassen sich aber immer weniger Arbeitende gefallen, und der Trend beschränkt sich keineswegs auf Mittelklasse und College-Absolventen. Daniel Yankelovich kommt in seinem Bericht über die amerikanische Jugend der siebziger Jahre zu dem Schluss, dass „immer mehr Jugendliche ohne College-Ausbildung … sich der Suche gleichaltriger College-Studenten nach einer Definition für Erfolg anschließen, die ebensoviel Gewicht auf Selbstverwirklichung und Lebensqualität legt wie auf Geld und Sicherheit.“ (2) Das Arbeitsministerium berichtet, dass selbst auf unserem heute sehr angespannten Arbeitsmarkt doppelt so viele Menschen ihr Arbeitsverhältnis kündigen, weil es sie anwidert, als noch vor zehn Jahren; und die Zahlen steigen.

Aber irgendwie wursteln wir weiter. Ich staune immer wieder darüber, was die Leute sich alles einfallen lassen, um bei ihrer Arbeit bleiben zu können, ohne zu verbittern. Natürlich schafft das nicht jeder. Ich kenne genügend Leute, die unterschiedslos jeden hassen, mit dem sie im Verlauf eines Arbeitstages zu tun haben, die sogar offene Sabotage betreiben. Und ich kenne die anderen, die sich ständig wie Mannequins auf dem Laufsteg geben und sich mit ein paar Bücklingen durchschlängeln, die sie brav gelernt haben … die Besatzungen der Telefonzentralen mit ihrer versteinerten Freundlichkeit … die Stewardessen mit ihrem Plastiklächeln und ihrem Reklame-Sexappeal. Am traurigsten sind die Mädchen und Jungen, die für die Kettenrestaurants arbeiten. Sie müssen sich wie lebendige Fernseh-Werbespots aufführen, geschniegelt und immer grinsend, happy, happy, happy, weil sie der Welt täglich eine Milliarde miese Hamburger verkaufen dürfen. Beobachtet sie jemand, überprüft ihre Darbietung… irgendein Big-Brother-Manager? So jung sind sie noch und stehen schon da und fälschen ihr eigenes Leben für einen Groschenjob. Vielleicht ihre erste bezahlte Arbeit – und was lernen sie? Wie man eine gewissenhafte Marionette der Firma wird.

Aber ich treffe so viele andere, die das Wunder vollbringen, bei der Arbeit Mensch zu bleiben. Sie sprechen sich irgendwie selbst Mut zu und erfinden kleine Kompensationen, die ihnen durch den Tag helfen. Sie dekorieren ihren Arbeitsplatz mit persönlichen Gegenständen und eigenen Plakaten. Sie schmuggeln Transistorradios ins Geschäft, um `ihre‘ Musik zu hören – obgleich natürlich auch hier das meiste Werbung oder Schleichwerbung ist. Sie machen aus der Arbeit eines Tages eine Folge kleiner Wettbewerbe, die sie in Gang halten. Sie setzen sich heimlich absurd hohe Normen für die Genauigkeit und saubere Ausführung ihrer Arbeit, um einen sportlichen Zug hineinzubringen. Sie organisieren Spiele mit den Kollegen, sie tratschen, flirten, albern herum, tauschen Witze und Neuigkeiten aus. Vor allem aber meckern sie. Gemeinsames Meckern hilft immer. Jemandem mitzuteilen, dass man weiß, dass das hier ein Scheißjob ist, erleichtert das Gewissen. Damit erinnert man sich selbst und die Welt daran, dass man eigentlich größer, klüger und besser ist als dieser Stumpfsinn. Wenn es nach mir ginge …

Als ich bei der Bank of America Geldzähler war, beschäftigte ich meinen Kopf den ganzen Tag mit griechischen Deklinationen und innerlich aufgesagten Gedichten. Das hielt mein Gehirn lebendig – und machte mich zu einem miserablen Zähler. Aber selbst meine Fehler waren eine heimliche Genugtuung – Sand im gut geölten Getriebe des finanziellen Banditentums. Ich denke mir, dass sich die Menschen mit solchen Kniffen auch über die schlimmste Schinderei hinweggeholfen haben, seit die Fabrikglocken das Zeitalter des Industrialismus einläuteten. Es sind Symptome vom Überlebenskampf unserer Berufung: kleine Funken und Blitze unserer vereitelten Personalität. Leider wird keine private Strategie dieser Art jemals einen leeren und betrügerischen Job in eine Berufung verwandeln – übrigens auch keine soziale Reform. Und viel zu viele von uns sind in solche Arbeit verstrickt und versuchen sich an dem peinlichen Eingeständnis vorbeizudrücken, dass sie in der Falle sitzen. Ein Schwindeljob ist ein Schwindeljob; ein mieser Job ist ein mieser Job. Das ist keine Frage der Moral oder der gesellschaftlichen Organisation; nicht einmal die revolutionäre Übernahme der Produktionsmittel durch die Arbeiter könnte etwas daran ändern. Es sind objektive Tatsachen, die mit bestimmten Formen der Arbeit verbunden sind, und viele Industriegesellschaften scheinen nur noch diese Formen anbieten zu können.

Arbeit, die unnötigen Wohlstandsabfall oder Waffen produziert, ist schlecht und sinnlos. Arbeit, die auf eingebildeten oder künstlich erzeugten Bedürfnissen beruht, ist schlecht und sinnlos. Arbeit, die täuscht und manipuliert, die ausbeutet und entwürdigt, ist schlecht und sinnlos. Arbeit, die der Umwelt schadet und die Welt hässlich macht, ist schlecht und sinnlos. Es gibt keine Möglichkeit, solche Arbeit zu rehabilitieren, weder durch Verbesserungen oder Umstrukturierung, noch durch Vergesellschaftung oder Verstaatlichung, noch durch Verkleinerung oder Dezentralisierung oder Demokratisierung.

Dies ist ein absolutes Kriterium, das überall angewendet werden sollte, wo von Arbeit die Rede ist. Ist es eine anständige und nützliche Arbeit? Leistet sie wirklich etwas für die Bedürfnisse des Menschen? Diese Frage kann nur der Arbeitende selbst aufgrund seines Verantwortungsgefühls beantworten. Deswegen ist der Kampf um ‚rechten Lebenserwerb‘ ebenso wichtig wie der Kampf um industrielle Demokratie. Wenn eine Arbeit in sich wertlos ist, kann sie keine Berufung sein, mag man das Arbeitsleben noch so sehr demokratisieren. Wenn wir die Menschen auffordern, sich verantwortliche Arbeit zu suchen – Arbeit, die sie als Abbild ihrer persönlichen Bestimmung lieben können –, dürfen wir nicht erwarten, dass sie weiterhin stupide oder hässliche Tätigkeiten verrichten. Wir dürfen nicht erwarten, dass sie weiterhin für die Rüstungsindustrie oder für die Madison Avenue arbeiten, dass sie ‚Volksbomben‘ produzieren oder Parteipropaganda drucken. Eine Berufung lässt sich nicht auf eine Lüge bauen.

Die Welt, in der wir leben, diese hochindustrielle Welt, die wir als Norm für `hohen Entwicklungsstand‘ hinstellen, gibt sich alle Mühe, die Arbeit in einem Zustand zu halten, wo sie schlecht und sinnlos ist. Das geschieht im Namen des Wachstums, der Nationalen Sicherheit und des Lebensstandards, doch im Grunde geht es um Arbeiten, die es nicht wert sind, dass wir unsere besten Kräfte an sie verschwenden:

Höker-Jobs — teuren Schund erfinden und anpreisen und an leichtgläubige Kunden verkaufen.

Fleißige-Lieschen-Jobs — endloses Sortieren, Aufzeichnen, Abheften und elektronisches Verarbeiten unerschöpflicher Mengen von Daten und statistischen Phantomen.

Mandarin-Jobs — Koordination und Überwachung von bürokratischen Hierarchien und Bataillonen von Bürokräften, einer Maschinerie, die sich oft nur um sich selbst dreht.

Finanzschieber-Jobs — mit Geld und Krediten jonglieren, Lücken in der Steuergesetzgebung und schnelle spekulative Gewinne ausschnüffeln (Immobilien, Wechselkurse, Wertpapiere).

Frust-Kompensations-Jobs — Vermarktung von Talmi-Glanz und Ersatzfreuden, die einzig und allein dazu da sind, Langeweile und Frustration des Arbeitslebens zu lindern: Zuschauersport, Massenmedienunterhaltung, Superstars, Pauschalreisen, teure Spielzeuge für .kreative Freizeitgestaltung‘.

Bullen-Jobs — für Sicherheit vor den langen Fingern und der Gewalttätigkeit der Habenichtse sorgen, die Straßen überwachen, das Gesindel in die Gerichte treiben, die Gefängnisse bewachen, in Bank-, Schul- und Personalunterlagen herumschnüffeln.

Soziale Schmieröl-Jobs – die .Unfallopfer‘ der Gesellschaft einsammeln, dafür sorgen, dass sie nicht aus dem Laufgitter der öffentlichen Unterstützung herausfallen, die soziale Unzufriedenheit unter dem Siedepunkt halten. Und ganz oben drauf haben wir die Milliardenschieberei – Kartellbildung, multinationale Manöver, das Sich-in-die-Hände-arbeiten von Industrie und Militär –, die korrupte Seele unserer Wirtschaft. Diese Liste ließe sich beliebig verlängern, ein wucherndes Geflecht von Verschwendung und Korruption, von dem so gut wie jeder in seinem Arbeitsleben berührt ist. Wie viele von uns sind nicht wenigstens irgendwo am Rande damit verknüpft – ob es ihnen passt oder nicht, ob sie es wissen oder nicht? Mein eigener Beruf, die Hochschulausbildung, hat im Lauf der letzten Generation mächtig Fett angesetzt, indem er das Personal heranzüchtet, aus dem diese florierende Überschuss-Wirtschaft ihre leitenden Funktionäre und White-Collar-Laufburschen bezieht.

Viele, die allzu tief in dieses gesellschaftlich wertlose Einnehmen und Ausgeben verstrickt sind, werden vielleicht nie überschauen können, in welchem Gesamtzusammenhang ihre Arbeit steht. Das ist die eigentümliche moralische Ausrede, die die Undurchschaubarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse uns in die Hände spielt. Sie erlaubt uns, in aller Stille an kleinen, scheinbar ganz unschuldigen Teilen großer, schmutziger Projekte zu arbeiten. Das wahre Ausmaß der Mitschuld wird sich vielleicht nie aufzeigen lassen, aber die ethische Seite der Sache lässt sich nicht ableugnen und sie muß in jeder aufrichtigen Diskussion über Arbeit angesprochen werden. Manche Arbeit ist gut und nützlich, andere nicht. Arbeit, die nicht gut und nützlich ist, verschwendet das Leben der Menschen und die Reserven der Erde – und die Industriegesellschaft erzeugt erschreckend viel von solcher Arbeit. In unserer Suche nach wahrer Berufung stehen wir hier vor einem gewaltigen Hindernis. Denn es könnte sein, dass wir größtenteils mit Arbeiten befasst sind, die ein gesundes Verantwortungsgefühl uns eigentlich verbieten sollte.

Arbeit in der vormodernen Welt

Das Arbeitsleben ist nicht immer so gewesen. Auch in der Vergangenheit war die Arbeit sicher oft zermürbend und ausbeuterisch, aber kaum so von Grund auf stumpfsinnig, als sei sie für Zombies gedacht, und nicht so verschwendungssüchtig, dass sie eine Sünde wider die Natur wurde.

In vormodernen Gesellschaften sind die meisten Menschen Bauern, Handwerker und Hausfrauen – und Kinder, die diesen Broterwerb von ihren Eltern erlernen. In primitiveren Gesellschaften sind sie Jäger, Fischer, Sammler, Nomaden. All das ist `gelernte‘ Arbeit einer unbestreitbar nützlichen Art. Sie erfordert sorgfältige Schulung, Erarbeitung des überlieferten Wissens, ständige Forderung von Urteilskraft und Initiative. Bei der Arbeit sieht man selbst, wie gut man sie beherrscht, und strebt eine Könnerschaft an, mit der man vor den anderen bestehen kann. Es gibt einen Unterschied zwischen einem guten Bauern und einem schlechten, einem guten Jäger und einem schlechten – und diesen Unterschied nimmt die Gemeinschaft sehr wichtig, denn alle sind davon betroffen. Wer sich in diesen Dingen vervollkommnet, bildet seinen Scharfsinn aus, erweitert seine Erfahrung, entwickelt seine Inspiration – und diese Größen erweitern und definieren die Persönlichkeit.

Die arbeitenden Menschen solcher Gesellschaften können – zumindest untereinander – auch da eine Gemeinschaft gegenseitiger Anerkennung und kritischer Wertschätzung sein, wo sie in übelster Weise ausgebeutet werden – und nicht, weil sie untereinander ,nett‘ sind wie Büroangestellte, die ihre fade Arbeit durch Höflichkeiten und Scherzchen auflockern, sondern weil ihre Arbeit ein echtes Maß für ihr Können ist und einem für alle bedeutungsvollen Projekt gilt. Dies ist ein letzter kultureller und persönlicher Wertmaßstab, denn es gibt in unserer Natur ein instinktives Qualitätsbewußtsein, das gute Arbeit von Pfusch und Schwindel unterscheiden kann und diesen Unterschied auch wichtig nimmt. Auch die Frauen sind in traditionellen Gesellschaften mehr als `bloß‘ Hausfrauen, für die wir sie fälschlich ansehen könnten. Sie verfügen über eine erstaunliche Vielzahl häuslicher Fertigkeiten; sie sind Hebammen, sie bebauen den Garten, sie kochen, backen, töpfern, weben, nähen, gerben, verarbeiten das Fleisch, sie verstehen sich auf Medizin, Ritual und natürlich auf die Erziehung der Kinder. Selbst in ihrer Unterjochung kann man die Frauen vormoderner Gesellschaften – zumindest die nichtaristokratischen Frauen – nach ihrer wirklichen Befähigung zu achtbarer Arbeit beurteilen.

Wo Männer und Frauen solche Arbeit verrichten, werden sie das nötige Können und Verantwortungsbewusstsein dazu mitbringen und an ihrer Arbeit reifen. Von Natur aus bietet diese Arbeit mindestens soviel Spielraum für persönliches Wachstum, dass Kinder sich zu Erwachsenen mit wertvollen Fertigkeiten entwickeln können; sie müssen nicht „absurd aufwachsen“. Die Menschen haben die Sicherheit, dass das, was sie mit ihrem Leben anfangen, richtig ist; ihre Arbeit folgt klar ersichtlichen und einsehbaren Notwendigkeiten – vielleicht hängt das Überleben der ganzen Gemeinschaft davon ab.

Ich möchte die Lebensumstände vormoderner Menschen nicht romantisieren. Ich weiß, dass sie große physische Lasten zu tragen haben. Mir ist auch bewusst, dass solche Gesellschaften beim Eintritt in ihre zivilisierte Phase unweigerlich unter die Herrschaft aristokratischer Eliten fallen, die die unteren Klassen ausbeuten und ihre Arbeit verächtlich als roh und schmutzig betrachten. Ansehen, Reichtum und Geschmack werden Vorrechte parasitärer Elemente und zugleich kommt ehrliche Arbeit immer mehr in den Ruf, niedrig, gemein und lästig zu sein – niemand wird dann noch sehen wollen, dass Arbeit auch Berufung sein kann. Dafür werden jetzt verfeinerter Geschmack und verschwendungssüchtiger Müßiggang die höchste Wertvorstellung der Gesellschaft; kulturelle Kreativität verliert jede Beziehung zur täglichen Arbeit und wird ein reines Freizeitphänomen.

Doch all das ist Verschleierung der Tatsachen. In Wahrheit bleibt die Arbeit einfacher Menschen in traditionellen Gesellschaften unter allen Umständen ein achtbarer und anspruchsvoller Lebensinhalt; Arbeit kann hier Berufung sein, auch wenn ein ausbeuterisches System diese Tatsache verdeckt. In der vormodernen Gesellschaft gibt es so etwas wie ‚ungelernte‘ Arbeit nicht, das ist die entscheidende Tatsache. Es gibt keine Arbeiter, die nur Zusatzaggregate von Maschinen und Montagebändern sind; es gibt unterhalb der privilegierten Klassen niemanden, dessen Lebensarbeit sich aus Stumpfsinn und leerer Betriebsamkeit zusammensetzt.

„In elender Schinderei“

Beim Eintritt in die Moderne setzt eine merkwürdige und widersinnige Entwicklung ein. Die großen revolutionären Umwälzungen, denen die Geschichte die urban-industrielle Gesellschaft verdankt, waren in erster Linie bürgerliche Bewegungen, und ihre Leitideologie war überwiegend eine Arbeitsideologie. Monarchie, Priesterschaft und Adel wurden als parasitär entlarvt und mit Recht abgeschüttelt. Die begüterte Mittelklasse verschaffte sich eine neue Identität als Ort der Produktivität, auf den die Gesellschaft nicht mehr verzichten konnte. Männer von Wagemut und Einfallsreichtum – Kaulleute, Geschäftsinhaber, Unternehmer und Techniker – würden die Welt erneuern, den Fortschritt einleiten, die Würde des Menschen verteidigen. Irgendwie mischte sich noch die calvinistische Ethik von Fleiß, Genügsamkeit und achtbarer harter Arbeit in die Ideologie der bürgerlichen Revolution, und so waren alle Voraussetzungen gegeben, um die Arbeit zu neuen Ehren zu bringen und die Berufung wieder zu entdecken.

Dem aber stand ein anderer Zug des Mittelklassen-Arbeitsethos im Weg. Der Calvinismus betrachtete Arbeit nicht als befreiende Freude, sondern als Fluch und Strafe von oben, die der Gottesfürchtige als Prüfung über sich ergehen lassen musste. Arbeit war wie sexuelle Scham ein Zeichen des Sündenfalls; sie hatte nichts mit Erfüllung zu tun, sondern sollte die Begierden zügeln und den Willen disziplinieren. Sie war eine Erfahrung der Selbstverleugnung, nicht der Selbstentdeckung. Max Weber nennt das neue Arbeitsethos „weltliche Askese“ – das strenge Regiment eines Arbeitgeber-Gottes, dem man sich zum Wohl der eigenen Seele unterwerfen muß. Wohlstand durfte man nicht genießen, sondern nur als Zeichen göttlicher Auserwähltheit demütig hinnehmen. Man durfte wohl Reichtum anhäufen, aber niemals Freude daran zeigen. Diese Ethik verlieh zwar weltlichem Streben eine gewisse düstere Würde, beraubte die Arbeit indes andererseits aller ästhetischen, sinnlichen und schöpferischen Möglichkeiten. Sie wollte, dass Arbeit Mühsal sei, denn sie verherrlichte die Disziplin des Ertragens.

Natürlich hat die puritanische Askese den Kapitalismus nicht allein entstehen lassen. Der Räuberbaron, der pfiffige Erfinder, der großspurige Industriekapitän hatten ihren Anteil daran. Das herbe calvinistische Arbeitsethos war überdies mit hochfliegenden Gedanken über revolutionären Fortschritt durchsetzt, die zu vielen Hoffnungen Anlass gaben. Doch für Fortschritt gibt es einige höchst sonderbare Maßstäbe – und manche haben nichts mit Glück oder Erfüllung zu tun. Es gibt einen Fortschritt der Effizienz und Produktivität, der nicht zögert, jede menschliche Wertvorstellung seinen manischen Entwürfen aufzuopfern. Das war die Art von strammer rationaler Ordnung, die den Saint-Simonisten und den Benthamisten zusagte. Wo alle religiösen Beimischungen fehlen, kann diese Art utilitaristischer Rationalität so lebensfeindlich werden wie die calvinistische Strenge in ihrer extremsten Form.

Der ökonomische Gedanke, der den frühen Industrialismus leitete, ist eine unansehnliche Kreuzung aus Calvinismus und Utilitarismus. Von dieser Mixtur leitet sich eine wahrhaft .unfrohe Wissenschaft‘ ab, die fest damit rechnet, dass Elend, Armut und Klassenherrschaft mit der Zeit immer schlimmer werden. Die klassische Ökonomie wurde so umgearbeitet, dass Leiden und Entwürdigung sich als Naturnotwendigkeiten aus ihren Gesetzen ergaben. Man könnte genauso gut sagen, das Leben auf Erden sei dazu verdammt, ein langer, leidvoller Untergang zu sein und der industrielle Fortschritt sei des Teufels Schmelztiegel. William Blake erkannte den dämonischen Zug der neuen Ökonomie. In seinen düsteren prophetischen Epen sah er die neue Industrie­gesellschaft sich wie eine Höllenlandschaft ausbreiten, ein Fegefeuer für Menschheit und Erde, entstanden aus fehlgeleiteter religiöser Energie. Selbst ein begabter Handwerker, entsetzte ihn der Einfluss des Industrialismus auf die Arbeit zutiefst. In die Erfahrung der arbeitenden Menschen war etwas eingedrungen, das es noch nie gegeben hatte: ungelernte Arbeit, Arbeit, die in sich charakterlos war, in der es keinen Platz für Urteilsvermögen und Stil gab. Eine ökonomische Wissenschaft, die alles menschliche Tun abstrakten Effektivitätsmaßstäben unterwarf, entblößte die Arbeit aller Unmittelbarkeit und Integrität. Sie wurde von Maschinen atomisiert, in immer kleinere und endlich vollkommen geistlose Arbeitsgänge unterteilt, so dass die angeblich ‚freien‘ Arbeiter zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit buchstäblich nicht mehr wussten, was sie taten. Blake beklagte diesen Zustand:

„Und all die Künste des Lebens, sie wurden Todeskünste in Albion.

Das Stundenglas, verachtet, weil seine schlichte Kunstfertigkeit
Wie die Kunstfertigkeit des Pflügers war & des Wasserrades,

Das Wasser in Zisternen schöpft, zerbrochen und ein Raub der Flammen…
Und an ihrer Statt wirbelte ein vielzähniges Räderwerk, Rad umkreist Rad,

Um die Jugend zu blenden und an die Arbeit zu ketten in Albion
Tag & Nacht die Myriaden der Ewigkeit; auf dass sie schleifen
Und glätten Bronze & Eisen Stunde um Stunde in mühsamer Pflicht,
Unwissend gehalten, zu welchem Gebrauch; auf dass sie die Tage des Wissens
Hinbringen in elender Schinderei um karges Brot,
Unwissend einen kleinen Teil sehen & für das Ganze halten.
Demonstration nennen sie es,

blind für all die einfachen Regeln des Lebens.“ (3)

Arbeit dieser Art, die „elende Schinderei“ der Fabrikhände, die „einen kleinen Teil sehen und für das Ganze halten“ müssen, ist die kennzeichnende Schöpfung industrieller Produktion. Sie beruht auf den abwegigen Effektivitätsnormen, die aus Rationalisierung und Arbeitsteilung hervorgingen. Von Anfang an war die Fabrik ein Ort für die Ungelernten – notdürftig eingewiesene Frauen und Kinder, bloßes Hilfspersonal einer ungeheuren Maschinerie, die die eigentliche Arbeit tat. In keiner Gesellschaft hat es solche Arbeit als permanente und tragende ökonomische Institution jemals gegeben. Entfernte Ähnlichkeit besteht allenfalls mit der Sklavenarbeit in Bergwerken und Steinbrüchen, wie sie in der Antike üblich war, oder mit der der Galeerensträflinge. So weit müssen wir hinuntersteigen, um einen Vergleich für Fabrikarbeit zu finden. Und eben diese Arbeit wurde jetzt als Geheimnis des ökonomischen Fortschritts, als Aufbruch in die Zukunft gepriesen.

„… die einfachen Regeln des Lebens.“ Vielleicht sind wir manchmal cleverer, als uns moralisch gut tut. Unsere Maschinen und Produktionssysteme sind gewiss erstaunlich, doch wir haben vergessen, dass das Tun so wichtig ist wie das, was getan wird, das Machen so wertvoll wie das Gemachte. Ökonomie ist nicht nur die Wissenschaft der Waren, sondern auch die Wissenschaft vom Bedürfnis des Menschen nach einer Arbeit, die ihm nicht seine Selbstachtung raubt.

Viele der schlimmsten Auswirkungen des frühen Industrialismus sind im Lauf des letzten Jahrhunderts abgebaut worden. Die klassische Ökonomie wurde vom Sozialismus und anderen humanistischen Schulen ökonomischen Denkens angegriffen. Knappheit und primitive Akkumulation sind in den entwickelten Gesellschaften der Massenkonsumwirtschaft und dem Wohlfahrtsstaat gewichen. Vieles hat sich geändert. Doch die Arbeit trägt auch in der modernen Gesellschaft noch das Brandzeichen des Industrialismus. Wir haben uns an die Zerstückelung der Arbeit gewöhnt und an vertikale Management-Hierarchien, die dazu da sind, alles zusammenzuhalten; Hilfsarbeit und ungelernte Arbeit sind feste Kategorien geworden; die Arbeiter betrachten die Arbeit nach wie vor als beklagenswerten Zwang, nur fehlt ihnen jetzt die spirituelle Stütze und die Disziplin des calvinistischen Glaubens. Jetzt richten sie ihre Hoffnungen darauf, die Plackerei zu mildern oder ihr zu entkommen – aber sie sind natürlich durch materielle Bedürfnisse an sie gebunden.

Vor allem erfinden wir aber immer neue Formen der Mechanisierung und machen die Arbeit mehr denn je zur Domäne der Maschine. Solcher Fortschritt bedroht die Arbeiter zwar mit Arbeitslosigkeit, doch die Leute glauben überall, eine wirklich moderne Wirtschaft müsse kapitalintensiv sein, weil das allein Befreiung von der Arbeit verspricht. Derweil läuft die tägliche Mühle weiter; immer mehr verlagert sich das Schwergewicht auf teure Maschinenparks im Mittelpunkt des Arbeitslebens: sie bestimmen

die Jobs, geben den Schritt an, erledigen den Papierkram, übernehmen mehr und mehr von Management und Verwaltung.

Kein Zweifel, dass kapitalistische Ausbeutung einer der wichtigsten Züge der industriellen Geschichte ist. Früher oder später werden wir uns jedoch der Maschine als einem unabhängigen Faktor im Niedergang der Arbeit zuwenden müssen, einem Faktor, der selbst in nicht-kapitalistischen Gesellschaften spürbar ist.

Mit dieser Kritik handelt man sich leicht den Vorwurf einer ‚antitechnologischen‘ Einstellung ein. Ich will aber nicht darauf hinaus, dem Industrialismus seine Erfindungsgabe und seine schöpferischen Möglichkeiten abzusprechen. Vielmehr behaupte ich, dass diese Möglichkeiten im Keim erstickt wurden, weil die Maschine von vornherein nicht als Mittel zur Bereicherung des Arbeitslebens konzipiert war. Sie war zum Beispiel nicht auf die bestehenden Handwerkstraditionen zugeschnitten – zur Erleichterung der Arbeit und Verbesserung der Techniken. (Das war es übrigens, was die vielbeschimpften Maschinenstürmer des frühen 19. Jahrhunderts wollten: eine behutsame allmähliche Anpassung der industriellen Technologie an die Strukturen ihres Handwerks. Sie stürmten die neuen Maschinenwebstühle erst, als sie Waffen für die Zerstörung qualifizierter Arbeit wurden.)* Anstatt harmonisch in die Arbeitsstruktur der Gesellschaft hineinzuwachsen, wurde die Maschine gewaltsam allen Bereichen des ökonomischen Lebens aufgepfropft – ohne den Versuch, das überlieferte Wissen des Handwerks nutzbar zu machen, ohne Gespür für Würde und Integrität menschlicher Arbeit.

Die Industrialisierung war nie eine Sache von Arbeitern, die Technologien für die bessere Nutzung ihrer Fertigkeiten suchten; sie ist Sache von Außenstehenden – von Unternehmern, Finanziers, Politikern, Technikern und diversen industriellen Experten, die vom Sinn der Arbeit als Berufung oft nicht das geringste wissen. Sie setzen ihre Interessen und Ideen gewaltsam gegen wehrlose und meist unorganisierte Arbeiterschaften durch, und oft auch noch mit der Absicht, ganze Handwerkstraditionen zu verdrängen oder die Wirtschaft völlig umzukrempeln. Dieses Verfahren ist keineswegs auf die kapitalistische Form des Industrialismus beschränkt. Die gleichen Willkürmethoden wurden von eifrigen Marxisten angewendet, um die russische Agrarwirtschaft zu ‚modernisieren‘ – mit der Absicht, die alten Agrarstrukturen verschwinden zu lassen. Und im Westen bestand einfach kein Interesse daran, menschenwürdige Arbeitsverhältnisse durch Anpassung neuer Technologien an überlieferte Arbeitsweisen zu erhalten. Mit der Mechanisierung wurde aller Widerstand von der Bildfläche gefegt, um Platz für eine ganz neue, von der Stadt gesteuerte Produktionsweise zu schaffen.

Die Rechtfertigung für solche Strategien ist immer die gleiche: neue Technologien sorgen für mehr Macht, mehr Profit, mehr Produktivität. Oft trifft das zu, es wird tatsächlich mehr produziert. Vielleicht wird es sogar gerecht verteilt … irgendwann einmal. Doch gerechter Anteil und soziale Sicherheit sind nicht die einzigen Werte, die hier auf dem Spiel stehen. Es steht noch ein menschliches Bedürfnis zur Diskussion: das Bedürfnis nach rechtem Lebenserwerb. Was wird aus diesem Bedürfnis, wenn der industrielle Fortschritt die Traditionen einstampft und eben jenem Empfinden, das dieses Bedürfnis hervorbringt, den Krieg erklärt?

Die Mechanisierung übernimmt das Steuer

Es wäre töricht zu sagen, die Maschine sei schuld an der Entfremdung im modernen Arbeitsleben. Nicht Maschinen, sondern Menschen lassen die Dinge geschehen. Die Maschine traf auf eine bereits verzerrte Arbeitsethik, die Arbeit als gerechte Strafe für eine gefallene Menschheit ansah. So kam die Arbeit im Zuge der Industrialisierung zu einer neuen – abstrakten – Sinngebung: Profit und Produktivität. Je mehr die Arbeit als öde Plackerei angesehen wurde, desto mehr neigte man dazu, sie den Maschinen zu überlassen – gefühllosen eisernen Sklaven, die ohne Freude oder Verantwortung an jeder Aufgabe arbeiteten, die ihnen zugewiesen wurde. Wieder wurde die Arbeit, wie in der aristokratischen Vergangenheit, einer niederen Daseinsebene zugerechnet, aber jetzt kam noch etwas Lebloses, Fremdes, nicht mehr Menschliches hinzu. Musste das nicht eine ganz besondere Demütigung für all jene sein, deren Arbeit der von Maschinen am ähnlichsten war oder ganz unter der Herrschaft mechanisierter Systeme stand? Und ist es nicht ganz natürlich, dass sie dieser Demütigung zu entgehen versuchten und immer weitere Verkürzung der Arbeitszeit zugunsten der Freizeit forderten?

Jeder, der Charlie Chaplin in Modern Times hilflos in den Apparaturen zappeln sah oder in 2001 verfolgte, wie der Computer HAL das Raumschiff in die Katastrophe steuerte, wird dieses Bild des Menschen als Anhängsel einer feindseligen Maschinerie sicher nicht so bald wieder los. In diesem Bild sehen wir, wie die Arbeit dem Bereich des Subhumanen angepasst wird – und nicht nur die Muskelarbeit. Selbst Kopfarbeit – Management, Planung, Entscheidung – wird zur Domäne `denkender‘ Maschinen, die (so fürchten immer mehr, bestärkt von den Erfindern und Anbietern solcher Maschinen) schneller, besser und zuverlässiger denken können als Menschen. Nein, es wird nie eine Zeit geben, in der die Maschine ohne uns auskommt; das ist eine Science-Fiction-Fantasie. Aber wir haben die entscheidende Schlacht schon verloren. Wir haben Millionen schwer arbeitender Männer und Frauen davon überzeugt, dass Arbeit eigentlich nur von Maschinen getan werden sollte, dass Fortschritt mit ‚Einsparung‘ von Arbeitskraft identisch ist – zumal die Maschinen die Arbeit ohnehin besser verrichten. Folglich wird die Freizeit immer mehr das, was die Arbeit einst war: der Bereich für Kreativität, Freiheit und Wachstum. Und so träumen wir davon, eines schönen Tages, wenn der Fortschritt abgeschlossen ist, in einer arbeitsfreien Welt zu leben, einem kybernetischen Utopia, wo die Gesellschaft endlich „menschlichen Gebrauch von menschlichen Wesen macht“ – um einen Ausdruck zu gebrauchen, den Norbert Wiener, der Vater der Kybernetik, prägte.

Die meisten Leute haben wohl genug gesunden Menschenverstand, um solche Träumereien als Hirngespinste zu erkennen. Doch sickern solche Vorstellungen in Journalismus, Literatur und selbst in seriöses ökonomisches Denken ein, und eine Wirkung ist damit sicher erreicht: Die Arbeit wird Schritt für Schritt aus dem menschlichen Dasein gelöscht. Sie wirkt schon fast wie ein marginaler Anteil eines riesigen, fremden Bereichs namens `die Wirtschaft‘, der von Maschinen und Maschinensystemen beherrscht wird, von komplexen technischen Zusammenhängen, die nur verstehen kann, wer Zugang zu Datenbanken und Computer-Verbundsystemen hat. Ordinäre Arbeit zählt in diesem Mammutmechanismus nicht mehr viel, dafür aber Management, Planung, Beratung, Programmierung, Entscheidung – hochspezialisierte Tätigkeiten, deren Prestige darauf beruht, dass sie noch nicht von Maschinen ausgeführt werden können … noch nicht.

Die tägliche Arbeit gewöhnlicher Menschen ist hier nur noch statistische Ziffer. Grund genug, anderswo einen Sinn zu suchen. Wo früher die Arbeit als unverzichtbarer Aspekt verantwortungsbewußter Reife im Mittelpunkt des Lebens stand, haben wir deshalb jetzt Erholung … Spiel… Hobbies … die Freuden des Sex… Spaß und Sport, die zusammen auf eine Art Ganztags-Konsumismus hinauszulaufen scheinen: extravagante Wünsche pflegen, Sachen kaufen, Sachen verbrauchen, neue kaufen.

Die Demontage der Arbeit und die Ökonomie der Verschwendung: Bindeglied zwischen diesen beiden ist eine falsch konzipierte Maschinentechnologie, die die Arbeit ersetzen sollte, anstatt sie aufzuwerten. Dieser Irrtum ist inzwischen soweit gediehen, dass die offizielle Wirtschaftsplanung die Arbeit vorwiegend als ein Mittel betrachtet, Geld in die Hände der Leute zu bringen, damit sie zu brauchbaren Nachfrageeinheiten werden. Der Inhalt der Arbeit zählt nicht mehr, nur noch die Lohntüte am Ende der Woche. Unter dem Gesichtspunkt dieses ökonomischen Kalküls kann alles, was Kaufkraft erzeugt, die Arbeit ersetzen: ein garantiertes Jahresgehalt, Sozialfürsorge, Steuererleichterung. Für die ökonomischen Indikatoren sind das austauschbare Mittel zur Manipulation der Wirtschaft. So wägen Regierungschefs und ihre Berater mit ernster Miene die öffentlichen Ausgaben gegen die Preisstabilität ab und treffen ihre Wahl – vielleicht auf Grund irgendwelcher rein statistischer Hilfsmittel wie der Phillips-Kurve, die – aus dem Blickwinkel der Wirtschaftsführung – eine Beziehung zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation herstellt. Und wenn die Entscheidung ‚Arbeitsbeschaffung‘ lautet, dann ist ganz unwesentlich, ob die Leute eingestellt werden, um Atomraketen

herzustellen oder um Krankenhäuser zu bauen. Ein Job ist ein Job, Geld ist Geld.

Eine Ökonomie, die sich um den Sinn wahrer Berufung nicht schert, wird sich nie den Bedürfnissen der Person unterordnen.

Unsere Arbeit ist unser Leben

Industrieller Fortschritt verlangt ein Maximum an Technologie zur Arbeitseinsparung. Wo der Fortschritt in den Händen des privaten Kapitals liegt, wird immer der Profit entscheidend sein, und das Resultat ist technologische Arbeitslosigkeit. Gerechtfertigt wird das damit, dass Arbeitseinsparung Freizeit schafft, und darum geht es ja schließlich im Leben.

Ich möchte hier die radikal entgegengesetzte Position einnehmen, dass unsere Personalität in verantwortlicher Arbeit verwirklicht wird. Wirklicher Fortschritt ist deshalb nicht mit Arbeitseinsparung zu erreichen, sondern nur mit der Bewahrung der Arbeit vor wahlloser technischer Weiterentwicklung. Sie bewahren, das heißt: sie ganz und wirklich machen. Arbeit ist ein notwendiger Bestandteil des menschlichen Daseins – nicht bloßes Überlebensmittel, sondern von größter Bedeutung für die Selbstentdeckung. Wir haben das Bedürfnis zu arbeiten und das Recht zu arbeiten, und weder das Bedürfnis noch das Recht muß sich durch den Nachweis seiner Profitabilität oder Produktivität rechtfertigen – so wenig, wie man von dem Bedürfnis zu lieben, zu spielen, zu wachsen eine Kosten-Nutzen-Rechnung verlangen sollte. Unsere Arbeit ist unser Leben, aber in einer Welt, die uns unserer natürlichen Berufung beraubt, können wir unser Recht auf Selbstentdeckung nicht wahrnehmen.

Soll die Welt deshalb aller industriellen Technologie abschwören und wieder .primitiv‘ werden? Absolut nicht. Es muß keinen Widerspruch zwischen einem Handwerker und seinen Werkzeugen geben, und die richtige Maschine in den Händen eines geschickten und selbständig arbeitenden Menschen kann nur zur Freude an der Aufgabe und zum Gelingen des Werks beitragen. Die Weiterentwicklung von Werkzeug und Maschinen gehört mit zum Handwerk und ist Ausdruck von Kreativität. Doch große industrielle Systeme und die ihnen zugrunde liegende ökonomische Wissenschaft sind mit echtem Gefühl für Berufung gewiss unvereinbar. Wo der Arbeit und ihren Traditionen Mechanisierung von außen massiv aufgezwungen wird – wie es in der westlichen Gesellschaft in den letzten beiden Jahrhunderten und heute auch überall in der Dritten Welt geschieht –, müssen Handwerk und verantwortliche Arbeit auf der Strecke bleiben. Diese Art von `Fortschritt‘ schaut nur noch auf das Produkt der Arbeit; er will den Verkaufserlös, vergisst aber den Wert des Machens.

Es genügt auch nicht zu sagen, dass eine expandierende Wirtschaft die Zerstörung der Arbeit durch Schaffung neuer Arbeitsplätze ausgleicht. Das stimmt zwar, doch kommen wir damit auf eine ganz andere ökonomische Ebene. Große Systeme tragen uns in ein neues ökonomisches Universum, wo Arbeit einem anderen Rhythmus folgt und anderen Charakter hat. Sie ist fragmentiert, hierarchisch und aufs äußerste spezialisiert; sie hängt davon ab, dass neue Wünsche geweckt und neue Märkte erschlossen werden; sie stützt sich immer mehr auf Werbung und Absatzsteigerung, auf Verwaltung und Koordination, auf Papierkrieg und Personalmanagement; sie verstädtert die Bevölkerung und reißt die Menschen von ihren ökologischen Wurzeln los; sie entfernt sich immer weiter von Verantwortlichkeit und persönlichem Engagement.

Ich kann nicht sagen, ob dieses historische Muster, das sich in jeder hochindustrialisierten Wirtschaft wiederholt, in kapitalistischen wie in kollektivistischen, unvermeidlich ist. Ganz gewiss ist es dort unausweichlich, wo neue Technologien nicht behutsam an vorhandene Arbeitstraditionen angeglichen werden, so dass Arbeit als Berufung überleben kann. Ich weiß nicht, wie groß oder klein eine Fabrik oder Wirtschaft sein muß, um in diesem Sinn gesund zu bleiben, doch ein gesundes Gleichgewicht wird nur da zu erreichen sein, wo außer Größe noch ein anderer Maßstab Geltung hat. Dieser Maßstab heißt verantwortliche Arbeit, und man legt ihn wohl am besten dadurch an, dass man den Arbeitern zugesteht, die Werkzeuge, Maschinen und Systeme, die ihnen die Arbeit erleichtern, selbst den Erfordernissen ihres Handwerks anzupassen.

Kein Arbeiter wird sich dagegen sträuben, mit seiner Arbeit durch technologische Verbesserungen mehr Menschen zu nützen. Aber wer seine Arbeit liebt, wird nicht zulassen, dass sie durch Techniken zerstört oder entwertet wird, die ausschließlich darauf angelegt sind, mehr zu produzieren – ohne dass erst danach gefragt wurde, wie viel mehr man innerhalb des traditionellen Rahmens noch schaffen könnte.

Die sogenannte Grüne Revolution mit ihren landwirtschaftlichen Massenertrags-Techniken stößt zum Beispiel in armen Ländern auf immer mehr Widerstand. Die Bauern spüren, dass diese neuen, aus der amerikanischen Agrarindustrie abgeleiteten Methoden die Lebensfähigkeit kleiner Landwirtschaftsbetriebe bedrohen. Sie sind zu technisch, zu teuer, zu kapitalintensiv. Wo dieser Widerstand nicht gebrochen werden konnte, hat man mancherorts inzwischen billigere und leichter integrierbare Formen der Produktionserhöhung gefunden – so einfache Dinge wie Fruchtwechsel, richtige Fruchtfolge (so dass mehrmals im Jahr geerntet werden kann), bessere Speichereinrichtungen und geschicktere Ausnutzung des Wassers. Ein paar Agrarökonomen merken jetzt doch allmählich, dass der Ideenreichtum der zwei Milliarden Bauern auf der Welt einer unserer am wenigsten beachteten Aktivposten ist.

Worüber ich hier spreche, mag für manche wie eine Anleitung zur Armut klingen – die Arbeit durch Schrumpfung des industriellen Establishments von den Maschinen zurückerobern. Dieser Punkt findet sich in den entwickelten Gesellschaften auf keiner Tagesordnung von Regierung, Geschäftswelt oder Gewerkschaften. Was würde es uns – materiell – kosten, solch eine alternative Wirtschaft maßvoller Mittel und großer persönlicher Erfüllung aufzubauen? Diese Frage ist nicht zu beantworten, denn wir haben keine Ahnung, wie viel wir wirklich brauchen, um gesund, glücklich und sicher zu sein; in unserer Wirtschaft gibt es das Wort `genug´ nicht. Ganz sicher brauchen arme Länder von allem sehr viel, in erster Linie Nahrungsmittel. Doch wie viel von dem, was sie brauchen, ist hier bei uns vorhanden und wird vom Wohlstand einfach verschlungen? Wie viel Land, auf dem Nahrung erzeugt werden könnte, wird an die ungesunden Gelüste reicher Gesellschaften verschwendet, die ihren Kaffee, Tee und Tabak haben wollen und nur Fleisch von Tieren essen, die mit dem teuersten Futter gemästet wurden?

Wir haben keine Möglichkeit zu beurteilen, wie viel Produktivität für die entwickelten Länder tatsächlich erforderlich ist. Wir fangen gerade erst an, ihre kolossale Verschwendungssucht zu ermessen. Wir bestehen darauf, dass die Massenproduktion von Schuhen weitergehen muß, aber wie viel Paar Schuhe pro Person halten wir denn für notwendig, und wie lange soll jedes Paar halten? Sicher brauchen wir Montagebänder, um Autos zu produzieren, aber wie viele Autos brauchen wir pro Familie, wie dick und schick müssen sie sein, und wie haltbar könnten wir sie machen – ohne den eingebauten Verschleiß? Schauen Sie sich um, wo Sie gerade sind, und wenden Sie diese Frage auf alles an, was sie sehen. Wenn Sie Ihren eigenen Maßstab moralischer Verantwortung anlegen, wie viel davon ist dann wirklich nötig?

Würden wir nur die Konsumvöllerei der Mittel- und Oberschicht etwas beschneiden (fangen wir damit an, aber natürlich müssen wir uns auch irgendwann mit dem miserablen Zeug abgeben, an das die Armen ihr mageres Einkommen verschwenden), wie viel Massenproduktion brauchten wir dann in unserer Gesellschaft noch? Freilich, gerade diese Vollere! verschafft ja den meisten Menschen Arbeit. Aber genau das ist doch der Irrsinn des Systems, oder nicht? Wenn wir oben nicht mehr die Luxusgüter kaufen, sorgen die herrschenden Wirtschaftsmächte dafür, dass unten kein Brot mehr gebacken wird und niemand arbeitet. Keine Verschwendung, keine Grundnahrungsmittel – das Geheimnis der expandierenden Wirtschaft.

Solange wir keine Ahnung haben, was alles zu einem vernünftigen und gesunden Lebensstandard gehört, kann niemand sagen, wie viel Arbeit tatsächlich im mechanisierten großen Stil getan werden muß. Und wir haben keine Ahnung. Unsere angeblich so nüchterne Wirtschaftswissenschaft ist ein Spielball wilder Konsumfantasien und infantiler Praßsucht. Niemand sollte in diesem Beruf arbeiten dürfen, der nicht Tolstois „Wie viel Land braucht der Mensch“ gelesen hat.

Die Befreiung der Arbeit

Aber ganz abgesehen von solchen Überlegungen könnte man sich fragen, ob es überhaupt realistisch ist, derartige Forderungen an die industrielle Weltwirtschaft zu stellen. Ist das nicht, als wollten Schmetterlinge etwas von dem Dinosaurier fordern?

Ich glaube, diese Frage zäumt das Pferd vom Schwanz her auf. Wir sollten lieber fragen: Ist es realistisch, das Bedürfnis der Menschen nach sinnvoller Arbeit weiterhin mit geringschätzigem Schulterzucken zu quittieren? Ist es realistisch, so zu tun, als könnten wir die Entfremdung im Arbeitsleben immer weiter treiben, ohne eine Epidemie der Demoralisierung auszulösen, die die ganze Gesellschaft lahmen könnte? Behalten wir im Auge, dass der urbane Industrialismus spirituell wie ökologisch tatsächlich ein Dinosaurier ist, dessen Tage gezählt sind – eine Kultur, die mit ihrer Auslöschung kokettiert. Unser Planet wird die Ausbreitung einer Wirtschaftsweise der Verschwendung und Verantwortungslosigkeit nicht mehr lange aushaken. Das ist der tiefere Grund, weshalb das Ideal der Berufung heute anfängt, sich Gehör zu verschaffen. Auch in diesem entscheidend wichtigen Lebensbereich stehen die Bedürfnisse der Person wiederum in Resonanz mit den Bedürfnissen des Planeten, und wir sehen, wie die Menschen sich auf der Suche nach dem menschlichen Maß spontan von allen großen Systemen lossagen, die die Erde foltern.

Die Abkehr beginnt an den Rändern und kommt nur stockend vorwärts. Aber die Zeichen neuen Wachstums sind so deutlich wie die Symptome der Unzufriedenheit. Ich möchte ein paar meiner eigenen Zufallsbeobachtungen zu einigen Voraussagen formulieren – eine Impression über die Zukunft des Arbeitslebens in den Industriegesellschaften. Wenn die Menschen im Verlauf der nächsten Generation immer tiefer zu den Wurzeln der Entfremdung vordringen, erwarte ich, dass eine Reihe von Reformen und experimentellen Ansätzen ziemlich rasch um sich greifen wird.

1. In allen Bereichen der Wirtschaft wird man immer mehr nach Arbeitsaufwertung und nach Verbesserung der Arbeitsbedingungen rufen, vor allem bei Büroroutine und Fließbandarbeit. Experimente mit gleitender Arbeitszeit und Teamarbeit, größere Betonung von Abwechslung und Flexibilität werden das Neuland des Personalmanagements sein. Die großen öffentlichen und privaten Organisationen werden ihre Neuerungen zur Verbesserung der Moral stolz herumposaunen. Sie werden uns erzählen, dass sie die Arbeit ‚personalisiert‘ und auf die Bedürfnisse ihrer Angestellten zugeschnitten haben. Zugleich werden die Gewerkschaften mehr bezahlte Freizeit, eine kürzere Arbeitswoche und längeren Urlaub fordern, und diese Punkte könnten bei Tarifverhandlungen mehr wiegen als Lohn und Überstundenbezahlung. Bald wird man diese Reformen in den Medien als ‚Revolution des Arbeitslebens‘ preisen, obgleich sie keine strukturelle Veränderungen der Wirtschaft bewirken und kaum mehr sind als Symptompfuscherei.

2. Auch der Ruf nach mehr Demokratie und Arbeiterselbstverwaltung wird immer häufiger zu hören sein. In den größeren Industriezweigen wird eine neue Generation von Gewerkschaftsführern Beteiligung an wichtigen Entscheidungen und mehr Demokratie im Betrieb fordern, vielleicht nach dem Vorbild der Mitbestimmung, wie sie in Skandinavien und Deutschland schon länger praktiziert wird und neuerdings auch in Frankreich im Gespräch ist. Sie werden dabei wechselnden Erfolg haben; vor allem den großen Firmen könnte es gelingen, ihre Bemühungen nachhaltig zu blockieren. Doch aus kleineren Firmen und neueren Industrien werden wir von einem neuen, aufgeklärten Stil des Managements hören, von der Einführung verantwortlicher Partnerschaft in die Arbeit, vielleicht sogar Gewinnbeteiligung.

3. Immer mehr Menschen werden aus konventionellen Anstellungsverhältnissen aussteigen und sich mit einem neuen Geist der Selbstentdeckung und des ethischen Engagements neue Existenzen in Handwerk und Gewerbe aufbauen. Viele werden akademisch gebildet sein, vielleicht sogar schon auf ein bestimmtes Berufsziel spezialisiert, aber sie werden sich nach einer Arbeitsqualität umsehen, die in der Welt der spezialisierten Fachleute nicht zu finden ist. Vielleicht werden sie vorübergehend auf Sozialfürsorge angewiesen sein und sich mit einem einfachen, anspruchslosen Leben begnügen müssen, doch das wird auch ein Teil ihrer Suche nach Autonomie und Würde sein. Überall zeigen sich Ansätze einer Renaissance des Handwerks, dessen Werkzeuge und Erzeugnisse bereits in vielen Alternativläden zu kaufen sind; selbst eigene Bezugsquellenkataloge gibt es auf diesem Gebiet schon. Die jugendlichen Dropouts der Sechziger haben manch altes Handwerk vor dem Aussterben bewahrt, und immer mehr Menschen finden hier neue Lebensgrundlagen. Die neuen alten Handwerke werden sicher auch bald ökonomisch eine Rolle spielen, wenn sich herumspricht, dass man hier einen besseren Gegenwert fürs Geld bekommt als im Kaufhaus. Die Gefahr besteht bei diesen neuen Handwerken darin, dass sie nach und nach aus den Alternativkatalogen abwandern und sich in den Boutiquen etablieren werden, um der nächsten Welle des Konsums zu Diensten zu sein.

4. Immer mehr Arbeitskollektive und Produktions-Kooperativen werden entstehen, in denen die Menschen sich gegenseitig helfen, ihren Traum von erfüllter Arbeit zu verwirklichen. Das können Handwerkskooperativen, Wartungs- und Reparatur­kollektive oder Geschäfte in gemeinsamer Eigentümerschaft sein. Es können auch größere Produktionsbetriebe im Besitz der Arbeiterschaft sein. Viele dieser neuen Kollektive werden vermutlich Frauengruppen sein, organisiert von einfallsreichen Flüchtlingen aus Heim und Familie, die einen Rahmen für ihre Selbstbefreiung suchen und entschlossen sind, nicht in männliches Karrieredenken zu verfallen. Unabhängig von ihrer Gestalt und Herkunft werden alle diese Unternehmungen den gleichen Geist haben, denn sie gehören denen, die hier arbeiten und werden von ihnen geleitet, und damit bieten sie die fortschrittlichste Form echter Arbeitsaufwertung. Effektivität und Erfolg werden hier eher an der Erfüllung der Menschen durch die Arbeit gemessen als an Umsatz und Ausstoß. Vor allem werden sie ehrlichen Handel mit den täglichen Bedürfnissen der Menschen anstreben: echten Gegenwert fürs Geld und dabei ein Maximum an persönlicher Aufmerksamkeit. Das jedenfalls ist meine Erfahrung im Umgang mit solchen Kollektiven. Man steht Menschen gegenüber, die ihre Sache verstehen und so gut wie möglich machen, die sich einfach daran freuen, endlich eine sinnvolle Aufgabe zu haben.

5. Es wird auch immer mehr abweichende Spezialisten geben – Mediziner, Juristen, Erzieher, Sozialfürsorger, Berater, Stadtplaner, Wissenschaftler, Ingenieure –, die dem verblassenden Idealismus ihrer Berufe wieder Geltung verschaffen wollen. Viele werden .Anwalts-‚ und Vermittlerpositionen außerhalb ihres Berufs einnehmen und nach dem Vorbild des in aller Welt bekannt gewordenen Verbraucheranwalts Ralph Nader ständig Ärger machen und ein argwöhnisches Auge auf das Berufsethos ihrer Kollegen haben. Sie werden das neue Berufsbild des entspannten Professionals prägen, der sich nicht mehr hinter Formalitäten und Mystifikationen verbarrikadiert. Viele werden sich auch zusammenfinden, um ihren Beruf in Juristen­gemeinschaften, freien Kliniken, freien Schulen und radikalen Denkfabriken auszuüben und ihr Wissen in den Dienst der Armen und Schutzlosen zu stellen. Die Wirtschaftswissenschaftler unter ihnen werden in besonders interessante Bahnen geraten, wenn sie sich etwa der Landreform, der Kommunalentwicklung und dem Umweltschutz zuwenden. Sie werden ihren Beruf mit einem neuen ethischen Bewußtsein erfüllen, das ebenso leidenschaftlich für seine Prinzipien eintritt wie der Marxismus, aber weniger einseitig wissenschaftlich ausgerichtet ist und dafür mehr Toleranz für traditionelle Lebensweisen und überliefertes Wissen aufbringt. Sie werden viel für die Lebensfähigkeit der hier genannten Reformen tun, denn ihre Kriterien für Effektivität, Machbarkeit und ökonomische Realität werden in dem Bedürfnis der Menschen nach sinnvoller Arbeit wurzeln.

6. Schließlich werden im Gefolge einer aggressiven landesweiten Kampagne für Landreform und Rehabilitation ländlicher Bezirke immer mehr Familienhöfe und Landkommunen entstehen. Dabei werden sicherlich biologische Anbaumethoden eingeführt, die hohe Produktivität mit ökonomischer Nutzung der Mittel verbinden. Anders als in den landwirtschaftlichen Kombinaten, mit denen Amerika jetzt überkrustet ist, werden die Menschen hier in Partnerschaft mit der Erde arbeiten, anstatt ihr mit Giften Profit abzupressen. Das Geheimnis ihres Erfolgs wird in arbeitsintensiven Methoden und begrenzter Technisierung liegen. Vielleicht werden sie dem Land wieder das Gesicht einer Demokratie á la Jefferson geben.

Wenn es stimmt, dass der heutige Dissens von einem Bedürfnis nach Selbstentdeckung getragen wird, dann kann keine Reform mehr als nur vorübergehende Befriedigung bringen, wenn sie dem Arbeitsleben nicht den Geist echter Berufung zurückgibt. Wir werden sehen, wie die Entfremdung Schicht um Schicht abgeschält wird, während die Leute diese und jene Reform ausprobieren. Die Kernfrage wird nicht immer klar formuliert im Vordergrund stehen; gelegentlich wird es so aussehen, als ginge es nur um kürzere Arbeitszeit oder mehr Mitspracherecht. Ich vermute aber, dass scheinheilige Konzessionen der Arbeitsaufwertung sich immer sehr schnell als Schlag ins Wasser erweisen werden; Formen der Mitbestimmung, die den Arbeitenden lediglich das Recht einräumen, bei der Verschwendung und Dummheit ihrer Arbeitgeber mitzumachen, wird man schnell wieder ablegen. Schritt für Schritt wird sich zeigen, was die Menschen wirklich suchen: die Chance, in ihrer Arbeit eine Identität zu verwirklichen, die ihren höchsten Strebungen entspricht. Sie werden erkennen, dass ihr Arbeitsleben nur dann befriedigend sein kann, wenn sie die Verantwortlichkeit echter Berufung darin finden. Mit dieser Erkenntnis – einer Wahrheit, die sich mit jeder Arbeitsstunde selbst bestätigt – werden wir eine neue Ökonomie besitzen, die sich auf den Wert der Arbeit gründet, anstatt auf den Preis von Waren; ihren natürlichen Ort wird sie unter den moralischen Disziplinen finden.

Anmerkungen:

(1) Der Niedergang der Arbeitsmoral in Amerika, der sich in Krankfeiern, Aufsässigkeit bei der Arbeit und hoher Fluktuation niederschlägt, wird vor allem bei jungen Arbeitern zu einem dringenden Problem, die in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren mit der Arbeit anfingen. Das Krankfeiern nahm zun Beispiel in der Autoindustrie zwischen 1962 und 1972 um 100% zu, und das geht größtenteils auf das Konto der unter Dreißigjährigen und zwar besonders derjenigen, die etwas Collegebildung besitzen. Sie Neal Q. Herrick:”Who`s unhappy at Work and Why” ind Manpower, Jan. 1972, S. 3-7. Bei den Stahlarbeitern stieg die Zahl der Disziplinarstrafen wegen Fernbleibens von der Arbeit und allgemeiner Widerspenstigkeit von einigen Hundert 1965 auf 3400 in den frühen Siebziger Jahren, wiederum aufgrund der “Rebellion junger Arbeiter”. Sie Bill Smoot: Life on the Job in: The Nation, 23.07.1977. manche meutern am Fließband; andere steigen einfach aus der Arbeit aus. Business Week (14.11.1977, S. 156-166) berichtet von einem dramatischen Anstieg der Zahl nichtarbeitender Männer zwischen 1966 und 1976; es sind überwiegend Männer, die langweilige Arbeit einfach nicht mehr akzeptieren, sondern lieber von der Sozialfürsorge oder vom Einkommen ihrer Frau leben. Eine Seite des Problems besteht darin, dass es in den USA immer mehr Collegeabsolventen gibt. Das Arbeitsministerium schätzt ihre Zahl auf 18 Millionen, während es aber nur 14 Millionen Arbeitsstellen gibt, zu denen man einen Collegeabschluß braucht.

(2)Daniel Yankelovich: The New Morality: A Profile of American Youth in the 70s. New York 1974. Seite 29.

(3) William Blake: Jerusalem 65, 16-28. Übers. v. Jochen Eggert.

Vorstehender Artikel ist aus: Mensch und Erde. Über die kreative Zerstörung der Industriegesellschaft. Soyen 1982.

Von dem wichtigen Buch wurde nur ein Bruchteil der Auflage verkauft, der größte Teil landete im Schredder. Kurz vorher konnte der Lohengrin-Verlag seinerzeit noch 150 Exemplare erwerben.

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Das Bürgergeld ist schlimmer als Hartz IV http://arfst.kleineboote.de/2009/das-burgergeld-ist-schlimmer-als-hartz-iv/ http://arfst.kleineboote.de/2009/das-burgergeld-ist-schlimmer-als-hartz-iv/#respond Tue, 06 Oct 2009 22:03:37 +0000 http://cms.arfst-wagner.de/2009/das-burgergeld-ist-schlimmer-als-hartz-iv/ Presseerklärung zum FDP-Bürgergeld von Arfst Wagner (Bündnis90/Die Grünen) v. 06.10.09

Heute kam in den Nachrichten, dass sich die FDP für die Abschaffung von Hartz IV und für ein Bürgergeld in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU ausspricht. Die FDP will das Bürgergeld in Höhe von 662 EURO unter Beibehaltung des Arbeitszwanges.

Zitat aus dem FDP-Entwurf zum Bürgergeld:

„Das Bürgergeld ermöglicht ein selbstbestimmtes Leben, fördert die Aufnahme einer eigenen Tätigkeit und ist deshalb leistungsgerecht. Sozialleistungen, die sich aus Steuern finanzieren, sollen möglichst vollständig in einer einzigen Transferleistung „dem Bürgergeld“ zusammengefasst werden. Damit ist das Bürgergeld einfach und transparent.“

Weiter: „Im Bürgergeld werden das Arbeitslosengeld II einschließlich der Leistungen für Wohnen und Heizung, das Sozialgeld, die Grundsicherung im Alter, die Sozialhilfe (ohne Sozialhilfe in besonderen Lebenslagen), der Kinderzuschlag und das Wohngeld zusammengefasst. Die Leistungen werden beim Bürgergeld grundsätzlich pauschaliert gewährt und von einer einzigen Behörde, dem Finanzamt, verwaltet.“

Die Höhe des Bürgergeldes soll pauschal 662 Euro betragen, ausgezahlt vom Finanzamt. Voraussetzung sind die Bedürftigkeit und die Bereitschaft zur Aufnahme einer Arbeit. Bei Ablehnung einer zumutbaren angeboten Arbeit wird das Bürgergeld gekürzt.

Das bedeutet eigentlich nur eine Kürzung des Hartz IV-Regelsatzes. Wo dieses Bürgergeld ein „selbstbestimmtes Leben“ ermöglicht, erschließt sich nicht. Ich spricht sich deshalb gegen das FDP-Bürgergeld aus und bezeichne es als das, was es ist: eine Verschärfung von Hartz IV und keineswegs eine Verbesserung.

Arfst Wagner

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Arfst Wagner an die Grüne Jugend Schleswig-Holstein http://arfst.kleineboote.de/2008/arfst-wagner-an-die-grune-jugend-schleswig-holstein/ http://arfst.kleineboote.de/2008/arfst-wagner-an-die-grune-jugend-schleswig-holstein/#respond Mon, 31 Mar 2008 08:16:41 +0000 http://cms.arfst-wagner.de/2008/arfst-wagner-an-die-grune-jugend-schleswig-holstein/ An die Grüne Jugend Schleswig-Holstein bzgl. Bedingungsloses Grundeinkommen:

Liebe Freundinnen und Freunde!

Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich mich freue, dass Ihr das Grundeinkommen zu einem Eurer Schwerpunktthemen gemacht habt. Ihr habt meine volle Unterstützung.

Ich habe in diesem Jahr schon einige KV`s besucht, genauer gesagt, die, die mich dazu eingeladen haben, um über das Thema “Grundeinkommen” zu referieren. Tenor der Basis, wie es mir immer wieder entgegenkam: “Endlich können wir uns mal wieder als GRÜNE fühlen!”

Was mich an der Diskussion über Grundeinkommen besonders bewegt ist, dass viele wieder anfangen, sich über den Sinn der Arbeit Gedanken zu machen. Meinen doch heute die meisten Menschen, der einzige Sinn und Grund der Arbeit sei, Geld zu verdienen. Dass man/frau mit Arbeit eine gesellschaftliche Leistung erbringen, dass man/frau sich NUR DURCH ARBEIT in der Gesellschaft verantwortlich gestaltend betätigen, scheint vielen völlig entfallen zu sein.

Zur Finanzierung: im weltweiten Devisenhandel wird AM TAG so viel Geld umgesetzt, wie das gesamte übrige Bruttosoziaalprodukt DER WELT AN EINEM TAG. Eine Gewinnbesteuerung von 1% würde ausreichen, um ein Grundeinkommen in einer Höhe von (Diskussionsvorschlag) 1300.- EUR zu finanzieren.

Und was noch das Besondere ist: die Idee des Grundeinkommens ist eine, die weltweit vertreten werden kann und auch muss. Das hat sie mit der Idee gemeinsam, die die GRÜNEN groß gemacht hat: die Ökologie.
Genauso wie wir inzwischen wohl alle verstanden haben, dass die Okologie im globalen Zusammenhang begriffen und gestaltet werden muss, so ist es letztlich auch die soziale Problematik. Und das bedingungslose armutsfeste Grundeinkommen ist es wert, sich zu engagieren. Das wäre eine globale Kraft von Bedeutung, das wäre eine wahre “Globalisierung von unten”.

Was würde es bringen, wenn das Grundeinkommen eingeführt werden würde:
– die Menschen würden wieder eine Arbeit annehmen können, in der sie einen Sinn sehen (denn von dieser Arbeit ist genug da: Arbeit am Menschen, Kulturarbeit).
– die Grundlagen von Ausbeutung würden zerstört
– die Problematik der Arbeitslosigkeit könnte beseitigt werden
– auch die bisher unbezahlten Arbeiten (Heimarbeit, Ehrenamt) würde eine Wertschätzung erfahren
– der Menschenhandel (”Arbeitsmarkt”) würde aufhören
– Die Menschen würden ein ganzes Stück freier und verantwortungsbewußter (ist das der Grund des Widerstands gegen das Grundeinkommen?)
– die Nebenkosten-Problematik wäre gelöst.
– die Armut auf der ganzen Welt würde wirksam bekämpft werden
– die komplizierte Steuergesetzgebung würde durchschaubar werden (bei Finanzierung über eine Mehrwert- und Einkommenssteuer und einer Besteuerung des Devisenhandels) – man/frau wüssten wieder, für was sie Steuern bezahlen und warum
– die “Steuern” würden wieder ihre eigentlich Bedeutung zurückerhalten: durch eine Steuererhöhung oder gar Senkung von 1% könnten die Staatsfinanzen GESTEUERT werden.

Das System-immanente Denken, das die Probleme nur herumschieben, aber nicht lösen kann, muss überwunden werden. Lasst es uns anpacken!

In diesem Sinne bin ich voll mit dabei!

Alles Gute!
Euer Arfst Wagner

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Thesen zur Arbeitslosigkeit von Arfst Wagner http://arfst.kleineboote.de/2008/thesen-zur-arbeitslosigkeit-von-arfst-wagner/ http://arfst.kleineboote.de/2008/thesen-zur-arbeitslosigkeit-von-arfst-wagner/#respond Mon, 31 Mar 2008 08:15:09 +0000 http://cms.arfst-wagner.de/2008/thesen-zur-arbeitslosigkeit-von-arfst-wagner/ von Arfst Wagner

Die derzeitige wirtschaftliche Situation in unserer Gesellschaft erfordert grundlegende Veränderungen unserer Sozialstruktur. Es geht um die Formulierung von Werten und Grundpositionen zur Arbeitslosigkeit aus der Beobachtung sozialer Gesetze, Phänomene, Symptome. Das Herumschieben der Probleme muss aufhören, sie müssen gelöst werden.

1. Die Arbeitslosigkeit ist kein zwangsläufiges Naturereignis, sondern von der Gesellschaft und der Politik verursacht. Deshalb kann sie auch durch ein entsprechendes Umdenken sowie durch Eingreifen der sachlich richtigen Maßnahmen beseitigt werden.

2 Arbeitslosigkeit ist eine Verletzung der individuellen Menschenwürde.

3. Arbeitslosigkeit ist eine Verletzung der Menschenrechte, weil sie von Menschen anderen Menschen zugefügt ist.

4. Arbeitslosigkeit zerstört die Gesellschaft, weil sich durch arbeitsteiliges Wirtschaften Gesellschaft erst konstituieren.

5. Arbeitslosigkeit ist wirtschaftlich sinnlos, weil sie ungeheure Folgekosten verursacht und auf die Produktivkraft dieser Menschen verzichtet.

Und wie können wir dieses Ziel erreichen? Was sind die Bedingungen, Voraussetzungen und die gesellschaftlich notwendigen Maßnahmen?

1. Jede Bürgerin und jeder Bürger hat ein verfassungsmäßiges Recht auf Arbeit und zugleich das Recht, sich seinen Fähigkeiten gemäß am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Der Begriff von Arbeit ist in vorstehendem Sinne neu zu definieren.

2. Jede(r) erwachsene und mündige Bürger(in) erhält ein sozial differenziertes Grundeinkommen. Die existenzielle Abhängigkeit von Lohnarbeit ist zu überwinden.

– Die Grundeinkommen orientieren sich an den Preisen, der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und den Grundbedürfnissen der Bürger. Es wird zwischen den Partnern ausgehandelt.

3. Das gesellschaftliche „Unterhaltsgeld“ wird der Wirtschaft pauschal angerechnet. Einzelne Mitarbeiter ist nicht mehr lohnabhängig.

4. Die Wirtschaft plant und organisiert die Einrichtung der für alle notwendigen Arbeitsplätze auf der Grundlage der Bedürfnisse, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, im Gegensatz zur staatlichen Planwirtschaft.

5. Die Motivation zur Arbeit wird sich aus einer sozialgemäßeren und wirtschaftsgemäßeren Organisation der Zusammenarbeit innerhalb der Wirtschaft ergeben – (weniger Hierarchie. mehr soziale Gruppe und mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit.

6. Die wirtschaftlichen Aktivitäten der Gesellschaft haben sich den Fähigkeiten der Menschen anzupassen und nicht umgekehrt.

– Voraussetzung ist ein Bildungssystem, dass den Menschen in der Grundbildung Wahrnehmungs-, Denk- und soziale Handlungsfähigkeit statt nur Wissen vermittelt.

– In der Berufsausbildung ist eine arbeitsplatznahe Qualifikation in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft notwendig. („Wo werde ich gebraucht?“ eher als: „Was will ich werden?“)

7. Es besteht ein Grundrecht auf eine bezahlbare und angemessene Wohnung. Der Staat, oder besser die Gesellschaft insgesamt hat für eine ausreichende Bereitstellung von Wohnungen zu sorgen. Nur das ermöglicht auch die wirtschaftlich notwendige Flexibilität beim Arbeitsplatzwechsel.

8. Die Politik hat die Pflicht, zum Erreichen dieser Ziele auch zu parteiübergreifender Zusammenarbeit zu gelangen.

9. Die Gesellschaft legt den rechtlichen Rahmen für die Arbeitsbedingungen in der Wirtschaft fest.

10. Um eine Steuergerechtigkeit zu erreichen ist zu prüfen, ob nicht durch den Wegfall vieler Einzelsteuern und die pauschale Erhöhung der Mehrwertsteuer eine wesentliche bessere Versorgung der Sozialsysteme zu erreichen ist. Eine zentrale Finanzierung der Sozialsysteme durch die Mehrwertsteuer würde eine bisher nicht erreichte Steuergerechtigkeit zur Folge haben, denn es würde dann gelten: wer am meisten ausgibt, zahlt auch am meisten Steuern.

An folgender Publikation zum Thema Arbeitslosigkeit hat Arfst Wagner mitgearbeitet:

Flensburger Hefte Nr. 62
Arbeitslosigkeit
Weg ins Ungewisse
184 S., kt., EUR 15,-
ISBN 3-926841-87-7

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http://arfst.kleineboote.de/2008/thesen-zur-arbeitslosigkeit-von-arfst-wagner/feed/ 0
Antrag zum Grundeinkommen http://arfst.kleineboote.de/2008/antrag-zum-grundeinkommenr/ http://arfst.kleineboote.de/2008/antrag-zum-grundeinkommenr/#respond Mon, 31 Mar 2008 08:14:21 +0000 http://cms.arfst-wagner.de/2008/antrag-zum-grundeinkommenr/ Robert Habeck, KV Schleswig-Flensburg Anke Erdmann, KV Kiel Rasmus Andresen, KV Flensburg Katja Günther, KV Kiel Valerie Wilms, KV Pinneberg Arfst Wagner, KV Dithmarschen

Der Landesparteitag möge beschließen: Der Landesverband Schleswig-Holstein spricht sich für das Modell eines Grünen Grundeinkommens aus und empfiehlt seinen Delegierten bei der BDK zugunsten dieses Modells zu stimmen.

Das Grüne Grundeinkommen: Individuell, Existenz sichernd, bedingungslos Für einen neuen sozialen Zusammenhalt

I. Ziele und Erfahrungen grüner Sozialpolitik

1. Rückblick: Die Grünen und die Agenda 2010

Die Haltung der Grünen zu den Sozialreformen der Agenda 2010 war ambivalent. Wir haben z.B. die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld, die Einbeziehung ehemaliger Sozialhilfeempfänger/innen in die Arbeitsmarktförderung, die damit verbundene Verringerung verdeckter Armut sowie eine fachübergreifende Hilfeleistung grundsätzlich begrüßt und auch das Prinzip der „Aktivierung“ (Fördern und Fordern) fand mehrheitlich Unterstützung. Allerdings blieben die Reformen hinter dem, was wir im Grundsatzprogramm unter „bedarfsorientierter Grundsicherung“ (S. 64ff.) beschrieben haben, deutlich zurück. Nicht zuletzt gibt es ein Ungleichgewicht zwischen Forderungen und fehlenden Rechtsansprüche für Förderung. So ist das System auf Kontrolle statt auf Ermutigung zur Eigenverantwortung ausgerichtet. Das bestehende Sozialsystem ist nicht armutsfest, sondern hat die materielle Notlage und die gesellschaftliche Spaltung in Deutschland verschärft. Wäre die Kaufkraft der Sozialhilfe von 1994 an fortgeschrieben worden, läge Hartz IV heute bei 420 Euro. Das SGB II widerspricht durch das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaften unseren (frauen-)emanzipatorischen Grundgedanken. Es geht im Kern vom Ideal einer männlichen Vollzeiterwerbstätigkeit aus und unterstellt eine ungebrochene Arbeitsbiographie in einem festen Anstellungsverhältnis. Damit wird es den erhöhten und verschärften Anforderungen der Arbeitswelt nicht gerecht. Hohe Sockelarbeitslosigkeit, fortschreitende Rationalisierungen, prekäre Arbeitsverhältnisse und befristete Arbeitsverträge kennzeichnen einen Wandel in der Erwerbsarbeit. Die Arbeitsmarktentwicklung hat sich vom Wirtschaftswachstum entkoppelt. Zeitarbeit, Teilzeit, befristete Arbeitsverträge, Praktika, 400-Euro-Jobs, Frühverrentung und prekäre Arbeitsverhältnisse, bei denen Löhne unterhalb des Existenzminimums bezahlt werden, lösen die bisher bekannten Verantwortlichkeiten zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden auf. Da immer mehr Jobs im Niedriglohnsegment entstehen und selbst bei einer Vollzeit- Erwerbstätigkeit der Erwerb kaum über den Leistungen des ALG II liegt und Zuverdienste zu restriktiv auf die Sozialleistungen angerechnet werden, bietet das Sozialsystem zu geringe Anreize zur Arbeit. Der Lohnabstand zu den Sozialleistungen ist kaum gewährleistet. Neo-Konservative Kräfte fordern deshalb ein weiteres Absenken der Sozialleistungen. Häufig auch unter dem Deckmantel einen Grundeinkommens. Andere Grundeinkommensmodelle gehen von dem Ende der Erwerbsarbeit aus und zielen auf eine Gesellschaft ohne Arbeit und ohne Wirtschaftswachstum. Den allen setzen wir das Konzept eines grünen Grundeinkommens entgegen. Das Grüne Grundeinkommen ist eine zeitgemäße Antwort auf den dramatischen Wandel der Erwerbsgesellschaft und auf die zunehmenden sozialen Spaltungstendenzen. Es versteht sich nicht als Patentrezept, sondern als eine wichtige freiheitliche und soziale Grundlage für grüne Politik. Um den umfassenden sozialpolitischen Anforderungen gerecht zu werden, kombiniert das Grüne Grundeinkommen eine nicht bedarfsgeprüfte Sockelleistung für alle mit bedarfsgeprüften und lebenslagenspezifischen Zusatzleistungen. Darin unterscheidet es sich von anderen, marktradikalen und neoliberalen Grundeinkommenskonzepten und führt die Grünen Wertvorstellungen von Individualität und Selbstbestimmung mit denen von Gerechtigkeit und Gemeinwohl zusammen.

2. Sackgasse bedarfsgeprüfte Grundsicherung

Eine Weiterentwicklung des Arbeitslosengeldes II zu einer Grundsicherung droht an den eigenen Maßstäben zu scheitern. Gefordert werden eine Erhöhung der Regelleistung, eine Individualisierung der Grundsicherung und eine Verbesserung der Zuverdienstregeln. Würden all diese sehr sinnvollen Forderungen umgesetzt, würde allerdings das heutige System der Grundsicherung gesprengt werden, da zusätzlich viele Millionen Haushalte in das System einbezogen werden müssten. Bereits heute beziehen fast 9 Millionen Menschen Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Viele von ihnen fühlen sich stigmatisiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Hinzu kommen noch 3 bis 4 Millionen Berechtigte, die ihren Anspruch nicht geltend machen, die so genannten verdeckt Armen. Da die Einkommen im unteren Bereich sehr eng gestaffelt sind, bedeutet das aber, dass bereits bei geringen Verbesserungen Millionen Menschen zusätzlich anspruchsberechtigt werden, deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse geprüft werden müssen. Je nach dem wie die Verbesserungen im Einzelnen aussehen, könnten 15 bis 20 Millionen Menschen einen Anspruch auf eine Grundsicherung erhalten. Das alte Sozialsystem stößt so gesellschaftspolitisch an seine Grenzen. Die Bürokratie würde erheblich aufgebläht werden, durch die Bedarfsprüfungen nimmt der Anreiz zur Schwarzarbeit zu. Alleine eine Erhöhung des Regelsatzes auf 420 € bedeutet Mehrkosten in Höhe von fast 10 Mrd. €. Verbesserte Zuverdienstmöglichkeiten, schwächere Berücksichtigung von Vermögen und geringe Anrechung von PartnerInnen-Einkommen, die weitere Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe verursachen, sind dabei noch nicht mitgerechnet. Unklar ist, wie eine Finanzierung dieser Zusatzausgaben ohne eine grundlegende Finanzreform gelingen könnte. Wo das Hartz IV System zur Grundsicherung weiter entwickelt wird, wird es dies vielfach durch Elemente des Grundeinkommens, etwa bei individuellen Ansprüchen in der Kindergrundsicherung oder beim Brückengeld. So sehr diese Schritte in die richtige Richtung zeigen, so halbherzig sind sie doch, und sie setzen immer weitere Überprüfungsmechanismen und Antragsbürokratien voraus. Hauptkritikpunkt jedoch ist, dass das bedarfsorientierte Grundsicherungssystem im Endeffekt auf Sanktionen zurückgreifen muss, während wir überzeugt sind, dass ein armutsfester Sockel sanktionsfrei zu stellen ist. 3. Das Grundeinkommen Ein Grundeinkommen setzt am Anfang des Einkommensverteilungsprozesses an, nicht am Ende, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, wie es bei den Sozialleistungen der Fall ist. Noch vor dem Erwerbseinkommen gewährt ein Sockeloder gar ein Existenz sicherndes Grundeinkommen eine finanzielle Ausgangsbasis, zu der dann alle anderen Einkommen hinzukommen. Es kann so als ein Vorschuss an alle Bürgerinnen und Bürger verstanden werden, die dann entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit durch die Steuer – wenn möglich – wieder zurückgezahlt werden sollte. Damit tritt es nicht erst ein, wenn Bürger/innen in Existenznot geraten, sondern verhindert diese im Vorfeld. Es wirkt damit der auch statistisch nachgewiesene Unsicherheit und der grassierenden Angst vor einem sozialen Abstieg in der Gesellschaft entgegen. Das Grundeinkommen ist der Hebel, dieser Gesellschaft wieder zu einer Vertrauenskultur zu verhelfen, in der dann demokratisches Engagement und mündige Selbstbestimmung wachsen können. Das Grundeinkommen wird an alle Mitglieder einer Gesellschaft ausgezahlt. Es wird an Individuen und nicht an Haushalte oder Bedarfsgemeinschaften gezahlt, ohne Vermögensprüfung, ohne Einkommensprüfung, ohne dass eine Überprüfung der Arbeitsbereitschaft vorausgesetzt wird. Mit einem Grundeinkommen wollen wir ein ökonomisches BürgerInnenrecht auf kulturelle, institutionelle und materielle Teilhabe an der Gesellschaft schaffen.

3. Nicht jedes Grundeinkommen ist „grün“

Weder das Grundeinkommens-Konzept von Götz Werner noch die Überlegungen von Dieter Althaus oder Thomas Straubhaar entsprechen den Anforderungen, die wir an eine Grüne Existenzsicherung haben. Wir lehnen diejenigen Grundeinkommens- Vorstellungen ab, die darauf hinaus laufen, Erwerbslose quasi durch eine Alimentierung abzufinden, bisherige soziale Sicherungsleistungen dafür gegen zurechnen und sie mit der Verantwortung für die Schaffung gesellschaftlicher Zugänge alleine zu lassen. Wir lehnen Modelle ab, deren Hauptnutzen darin besteht, als KombilohnModelle für jedermann Arbeitgebern die Lohnkosten zu senken. Und wir halten es auch für falsch, durch Radikalisierung von Forderungen nach individuellen Transfers der notwendigen Förderung öffentlicher Dienstleistungen, die auch finanziert werden müssen, den Boden zu entziehen. Das von uns vorgeschlagene Modell für ein grünes Grundeinkommen ist wesentlich im Einkommenssteuersystem implementiert. Für den gesamten Ausbau der Infrastruktur stehen alle anderen Vorschläge zur Verfügung, die in der grüne Debatte in der letzten Zeit eine Rolle gespielt haben. Insofern ermöglicht unser Vorschlag eine Gleichzeitigkeit beider Wege. Institutionen und individuelle Transfers müssen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Ausbau der sozialen Infrastruktur u.a. für Bildung, Betreuung und Beratung schlägt auf der Grundlage grüner Beschlusslage zusätzlich mit 40 bis 60 Milliarden Euro jährlich zu Buche. Dafür können verschiedene Instrumente herangezogen werden, wie eine modifizierte Erbschaftssteuer, eine revitalisierte Vermögenssteuer sowie ökologisch gestaffelte Konsumsteuern, schließlich auch eine über die skizzierte Einkommenssteuerquote hinausgehende Progression.

II. Der Weg zum Grünen Grundeinkommen

Wir wollen einen zukunftsweisenden Umbau unseres Sozialsystems, der die Solidarität vom Kopf auf die Füße stellt. Dazu gehört als zentraler Baustein ein Existenz sicherndes Sockelgrundeinkommen für Erwachsene im erwerbsfähigen Alter sowie für Kinder. Ergänzend notwendige Leistungen für Wohnkosten und für Hilfen in besonderen Lebenslagen, wie Behinderungen, werden wie bisher bedarfsgeprüft gewährt. Parallel dazu soll der dringend notwendige Ausbau der sozialen Infrastruktur verwirklicht werden, von der Bildung über die Kinderbetreuung bis zu einer wirklich greifbaren Arbeitsmarktintegration für benachteiligte Menschen. Außerdem sollen die sozialen Sicherungssysteme zur Absicherung der Risiken im Alter, bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit nicht mehr an die abhängige Beschäftigung gekoppelt, sondern zu einer solidarischen, aus allen Einkünften gespeisten Bürgerversicherung umgebaut werden. Ein Projekt wie die solidarische Neuausrichtung der sozialen Sicherung kann natürlich nicht auf Knopfdruck verwirklicht werden. Notwendige Anpassungen haben unterschiedliche Geschwindigkeiten: Eine Steuerreform ist zügiger umsetzbar als der Umbau der sozialen Sicherungssysteme. Somit gehört zur Praxistauglichkeit eines Konzepts, dass es in überschaubaren und nachvollziehbaren Schritten vollzogen wird. Diese Bausteine müssen in sich schlüssig sein und aufeinander aufbauen. Wir machen hierzu einen konkreten Vorschlag. Aber selbstverständlich ist auch eine andere Modularisierung vorstellbar und je nach den politischen Rahmenbedingungen können einzelne Schritte auch langsamer oder deutlich schneller umgesetzt werden.

1. Basis: Bedingungsloses Sockelgrundeinkommen

Grundsicherung und Grundeinkommen entspringen also unterschiedlichen Denkweisen, überschneiden sich aber in der Praxis und können sich ergänzen. Als Einstieg in ein Grundeinkommen wollen wir in einem überschaubaren Zeitraum ein Sockelgrundeinkommen mit netto 500 Euro für Erwachsene und netto 400 Euro für Kinder einführen. Anspruchsberechtigt sind alle Menschen, die – analog zur heutigen Gesetzeslage – ihren dauerhaften Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. Alle anderen erhalten weiterhin ausschließlich bedarfsgeprüfte Leistungen. Beide Beträge steigen mindestens entsprechend der Inflationsrate. Das Sockelgrundeinkommen ersetzt steuerfinanzierte Transfers wie das Arbeitslosengeld II, das Bafög (Zuschussanteil) und das Kindergeld. Aufbauend darauf können weitere Sozialleistungen des Grundsicherungssystems bedarfsabhängig gewährt werden. Die Kosten der Unterkunft sowie Hilfen in besonderen Lebenslagen werden bedürftigkeitsgeprüft übernommen. Ein vollständiger Ersatz aller Sozialsicherungssysteme im Tausch gegen ein sehr hohes Grundeinkommen ist nicht nur schwer zu finanzieren, es ist auch nicht sinnvoll, da es immer Lebenslagen gibt, die eine besondere Zuwendung erfordern. RentnerInnen erhalten eine Existenz sichernde, nicht bedürftigkeitsgeprüfte Mindestrente im Rahmen einer zur Bürgerversicherung reformierten Rentenversicherung. Vom Kindergrundeinkommen werden 100 Euro nicht ausbezahlt, sondern mit Hilfe einer Kinderkarte zur Verfügung gestellt. Diese 100 Euro im Monat können dann für Betreuungsleistungen, Schulspeisung, Vereinsleben, Schwimmbäder oder für den öffentlichen Personen-Nahverkehr ausgegeben werden.

2. Die Finanzierung

Unser Vorschlag eines Sockelgrundeinkommens wird vollständig gegenfinanziert, ohne den bisherigen Haushalt zu belasten. Wir streben dazu einen Finanzierungsmix an. Zum einen ergibt sich die Finanzierung aus eingesparten Transferleistungen, denn das grüne Grundeinkommen ersetzt steuerfinanzierte Transfers wie das Arbeitslosengeld II und das Kindergeld. Zum anderen schlagen wir zur Finanzierung eine grundlegende Einkommensteuerreform vor, die die Besteuerung aller Einkünfte, das Streichen aller Vergünstigungen in der Einkommensteuer, die Aufgabe des Ehegattensplittings und den Ersatz diverser steuerfinanzierter Sozialleistungen umfasst. Direkt ersetzt werden Kindergeld (32 Mrd.), der größte Teil des Elterngeldes, der Kinderzuschlag (3 Mrd.), BAföG (1,5 Mrd.) und weitere Einsparungen bei ALG II sowie den Kosten der Unterkunft (über 30 Mrd.) und der ALG II-Verteilungsbürokratie (3,5 Mrd.). Flankierend dazu wollen wir eine Weiterentwicklung der ökologischen Finanzreform über die Abschaffung von Ausnahmen bei der bisherigen ökologischen Besteuerung hinaus, um ökologische Anforderungen und soziale Absicherung zu vereinen. Wir wollen dabei an der erfolgreichen Einführung ökologischer Steuern unter der rot-grünen Regierung anknüpfen und ein Energiegeld einführen. Dieser Vorschlag grüner UmweltpolitikerInnen, bei dem eine Energie- und Ressourcen Besteuerung unerwünschten Verbrauch verteuert und eingenommene Gelder als „Öko- Bonus“ an die Bevölkerung zurück gibt, wird somit in unser Konzept eines grünen Grundeinkommens integriert. Im Kern wird das grüne Grundeinkommen durch eine reformierte Einkommensteuer finanziert. Sie deckt sowohl die bisherigen Einnahmen aus der Einkommenssteuer ab, als auch das zusätzliche Volumen des Grundeinkommens. Das grüne Grundeinkommen geht für Menschen, die Steuern zahlen, praktisch im Grundfreibetrag auf. Dieser liegt beim grünen Grundeinkommen deutlich höher als der heutige Grundfreibetrag und reduziert als „negative Einkommensteuer“ die Steuerschuld . Personen mit einer Steuerbelastung über dem Grundeinkommen, zahlen Einkommensteuer. Liegt die Steuerbelastung aber unterhalb des grünen Grundeinkommens bzw. ist kein Einkommen vorhanden, erhalten die Menschen Geld vom Staat – es wird sozusagen eine „negative Steuer“ gezahlt. Heutige Hartz IV-EmpfängerInnen erhalten das volle Grundeinkommen ohne Bedarfsprüfung. Familien mit Kindern werden deutlich besser gestellt als mit dem Ehegattensplitting. Besserverdienende zahlen aufgrund der entfallenden Vergünstigungen annähernd den nominalen Steuersatz, der heute häufig real nicht entrichtet wird, werden also höher belastet. Das Grundeinkommen hat damit eine über die Einkommensteuer geregelte umverteilende Wirkung. Damit korrigiert das Grundkeinkommen die immer größer werdende soziale Schere, die durch das bestehende Steuersystem begünstigt wird. Heute haben wir Steuersätze zwischen 15 und 42 Prozent. Durch Abschreibungsmöglichkeiten ist die Steuerbelastung real jedoch vor allem im unteren und mittleren Einkommensbereich sehr hoch, im oberen dagegen zum Teil bei nur 20 Prozent. Der reale Durchschnittssteuersatz auf alle Einkommen (Arbeitnehmer-Bruttolöhne und Gehälter, einmalige Zahlungen, Selbstständige, Nebentätigkeiten, Zinsen, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, in Summe 1164 Milliarden) liegt heute bei unter 16 Prozent. Die Summe aller Einkommenssteuerbeträge macht heute 185 Mrd. aus. Das Grundeinkommen kann mit einem durchschnittlichen Steuersatz von knapp 35 Prozent auf alle Einkommen, das sind jährlich 1350 Mrd. Euro, finanziert werden benötigt. Zusätzlich dazu müssen die Sozialabgaben bezahlt werden, also eine Quote aus Abgaben und Steuern von bis zu 50%. Eine Reform der Sozialabgaben halten wir für dringend nötig, klammern sie aber in diesem Modell zunächst aus. Es gelten hier die bisherigen grünen Beschlüsse. Die Spaltung in Arm und Reich wird durch das Grundeinkommen korrigiert. Es ist im Ergebnis eine solidarische Umverteilung zwischen Haushalten mit Erwerbseinkommen. Kleine und mittlere Einkommen werden gestärkt, große stärker als bisher herangezogen. Alle bisherigen Hartz IV-EmpfängerInnen sind damit materiell besser gestellt und haben gegenüber der Grundsicherung einen individuellen Anspruch sowie einen deutlichen Arbeits- und Zuverdienstanreiz, jedoch keinen Arbeitszwang! Personen ohne eigenes Einkommen müssen somit durch das Grundeinkommen lediglich bei Bedarf Wohngeld beantragen. Materiell erheblich besser gestellt werden zudem 2,8 Millionen Menschen, die im heutigen System verdeckt arm sind, die also anspruchsberechtigt sind, aber aus zahlreichen Gründen keine Leistungen beziehen. Einige Befürworter anderer Grundeinkommensmodelle halten es für einen Makel, dass unser System nicht alle Bedürftigkeitsprüfungen, wie etwa die Wohnkosten, abschafft. Richtig ist aber, dass es nun einmal verschiedene Lebenslagen gibt und ein Grundeinkommen – und sei es noch so hoch – niemals alle Notlagen abdecken kann. Durch das von uns vorgeschlagene Sockelgrundeinkommen reduziert sich die Zahl der Bedarfsprüfungen erheblich. Durch die Individualisierung (Überwindung der Bedarfsgemeinschaften) und die besseren Zuverdienstmöglichkeiten verbessert sich die Situation von heutigen Hartz IV-Empfängern auch gegenüber einer Grundsicherung nochmals relevant.

2. Einkommenswirkung

Für die Finanzierung des Grundeinkommens ist eine durchschnittliche Steuerbelastung von 35 Prozent auf alle Einkommen nötig. (Der Einfachheit halber wird hier ausschließlich mit diesem Einheitssteuersatz gerechnet, obwohl wir einen Mix aus einer progressiven Einkommensbesteuerung mit einem Spitzensteuersatz von 45%, sowie eine weiter entwickelte ökologische Steuerreform, anstreben.) Seine solidarische und progressive Wirkung zeigt das Grundeinkommen auch in der vereinfachten Darstellung, denn es wird als „negative Einkommensteuer“ ausgestaltet: So hat eine allein stehende Person mit einem Bruttoeinkommen von 1.000 Euro bei einem Steuersatz von 35% eine Steuerbelastung von 350 Euro, gleichzeitig aber einen Anspruch auf ein Grundeinkommen von 500 Euro. Sie zahlt also unter dem Strich keine Steuern, sondern bekommt noch zusätzlich etwas – nämlich eine „negative Einkommensteuer“ von 150 Euro. Bei einem 4-Personen-Haushalt mit zwei Kindern und einem Bruttoeinkommen von 3.000 Euro wird eine Einkommensteuerbelastung von 1.050 Euro Steuern mit einem Grundeinkommen von 1.800 Euro verrechnet (500 Euro für die Erwachsenen, je 400 Euro für die Kinder). Die „negative Einkommensteuer“, also der tatsächliche Zuschuss, beträgt hier 750 Euro. Familien werden mit dem Grundeinkommen deutlich besser gestellt als mit dem Ehegattensplitting. Bereits ein Steuersatz von „echten“ 35 Prozent würde für „Besserverdienende“ und für gut verdienende Haushalte mit 2 VerdienerInnen dagegen eine deutliche Mehrbelastung bedeuten, denn die heutigen Steuersätze stehen nur auf dem Papier. So hat ein kinderloser Haushalt mit 2 VerdienerInnen bei einem Bruttoeinkommen von 12.000 Euro eine Steuerbelastung von 4.200 Euro, abzüglich eines Grundeinkommens von 1000 Euro – das sind real 3200 Euro. Bei einem realen Steuersatz von heute durchschnittlich 25 Prozent wäre dies z.B. eine Mehrbelastung von monatlich 360 Euro. Angesichts der sozialen Schieflage in Deutschland ist eine Mehrbelastung höherer Einkommen durchaus gerechtfertigt. Eine deutlichere Progression der realen Steuersätze würde die umverteilende Wirkung stärken und die Schere zwischen Arm und Reich ein Stück weit schließen.

3. Aufbaumodule

Neben dem Sockelgrundeinkommen können spezielle lebenslagenbezogene Module aufgebaut werden, die das Grundeinkommen aufstocken und die im Regelfall auch die Wohnkosten mit abdecken, wie dies etwa bei einem Bildungsgrundeinkommen oder z.B. bei einer Reform des Rentensystems der Fall wäre. Durch ein nicht rückzahlbares Bildungsgrundeinkommen, das es zum Beispiel im skandinavischen Raum gibt, werden Phasen der Bildung und Weiterbildung abgesichert und Kinder aller sozialen Schichten zum bestmöglichen Bildungsabschluss befähigt. Rentnerinnen und Rentner mit geringen eigenen Rentenansprüchen sollen nicht mehr gezwungen sein, zum Sozialamt zu gehen, um ein ausreichendes Einkommen zu beziehen. Mit der Einführung einer Bürgerversicherung auch für die Rente, kann die Rentenversicherung nach dem Vorbild der Schweizer Rentenversicherung erfolgen: Mit einem armutsfesten Mindestsockel, verbunden mit dem Grundeinkommen, und einer gedeckelten Maximalrente. IV. Wie wirkt das Grundeinkommen? Es wäre falsch, das Grundeinkommen als ein Allheilmittel zu verstehen. Es gibt jedoch eine ganze Reihe wünschenswerter gesellschaftlicher Effekte, die mit Hilfe eines bedingungslosen Grundeinkommens erreichbar sind:

1. Armutsvermeidung / Reduzierung verdeckter Armut

Es ist eine massive Stützung kleiner und mittlerer Einkommen und eine substantielle Verbesserung der materiellen Lage breiter Bevölkerungsschichten. Durch den Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung wird die aktuell dramatisch verdeckte Armut effektiv bekämpft. Werden die Kosten der Unterkunft bedürftigkeitsgeprüft ausgezahlt, bleibt allerdings ein kleiner Rest verdeckter Armut derjenigen, die sich dieser Prüfung nicht stellen.

2. Befähigung zu gesellschaftlicher Teilhabe

Das materielle Minimum wird für die ganz große Mehrheit der bisher Armen ohne Antrag ausgezahlt. Bei denen, die einen Antrag auf ergänzende Leistungen stellen, wird das Niveau angehoben. Ergänzende Notwendigkeiten stehen nicht im Widerspruch zum Konzept. Das gestärkte Selbstvertrauen der Grundeinkommensbezieher/ innen verbessert die Durchsetzungschancen von Bildung und gesellschaftlich anerkannten Tätigkeiten. Durch das Grundeinkommen kann sich das Fachpersonal in den Jobcentern voll und ganz auf die Beratung und Vermittlung konzentrieren.

3. Lohnabstandsgebot und Anreizwirkung

Hartz IV-Haushalte, insbesondere Familien, kommen oft in die Nähe von Durchschnittsverdienerhaushalten, deshalb fordern Neoliberale eine Reduzierung von Hartz IV. Eine – eigentlich notwendige – Erhöhung innerhalb des bedarfsgeprüften Systems verletzt das Lohnabstandgebot noch sehr viel mehr. Das vorgeschlagene Grundeinkommen ist dagegen ein unverlierbarer Sockel. Nur darüber hinaus erwirtschaftetes Einkommen wird besteuert. Dadurch ist das Lohnabstandsgebot immer optimal erfüllt. Mehr Arbeit lohnt sich, bei Schwarzarbeit ist der Mehrertrag geringer (das relative Risiko im Verhältnis zum „Gewinn“ steigt).

4. Gender / Förderung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen

Anders als bei Hartz IV ist das Grundeinkommen ein individueller Anspruch, unabhängig vom Haushaltskontext. Der Verzicht auf das Ehegattensplitting bringt die Gleichberechtigung aller Einkommen: Die Verteilung von Erwerbsarbeit in Beziehungen wird freier. Die Privilegierung der Alleinverdienerkonstellation entfällt. Genderpolitik als Querschnittsaufgabe wird durch ein Grundeinkommen aber nicht unwichtiger oder gar überflüssig, sondern bleibt unverändert notwendig und dringlich.

5. Verteilungswirkung

Das vorgeschlagene integrierte Steuer- und Transferkonzept hat eine stärkere egalisierende Verteilungswirkung als jedes isolierte Steuerkonzept in der Diskussion.

6. Transparenz des Steuersystems und des Systems sozialer Sicherung

Einfache und übersichtliche Gestaltung der Systeme bei maximaler Verteilungsgerechtigkeit.

7. Möglichst geringer Bürokratieaufwand

90% weniger Bürokratie bei der Verteilung von Transfers, da die Bedarfsprüfung weitgehend entfällt.

8. Plausible volkswirtschaftliche Wechselwirkungen

Ein größeres Vertrauen in einen gerechteren Sozialstaat. Die positiven Leistungsanreize und die zu der realen Vielfalt an Lebensentwürfen passende Ausgestaltung stärken ein nachhaltiges Verbraucherverhalten (Investitionen in Wohneigentum, energetische Sanierung) und die Kaufkraft. Der Trend zur weiteren Lohnsenkung wird gestoppt (s.u.), flexiblere bedarfsgerechte Arbeitszeitmodelle und eine humanere Arbeitswelt werden durchsetzbarer. Selbständigkeit wird erleichtert, die Personalverwaltung in Unternehmen entbürokratisiert.

9. Möglichst Verzicht auf Repressionen

Die Bedürftigkeitsprüfung ist nur noch bei einem Bruchteil der bisherigen Fälle notwendig. Sie ist einfacher (objektive Tatbestände) und basiert nicht auf einer unterstellten (Un-) Motivation. Sanktionen sind innerhalb des Systems nur in Ausnahmen möglich, wie z. B. bei den Kosten der Unterkunft und bei säumigen Unterhaltszahlungen (die können dem/der Zahlungspflichtigen vom Grundeinkommen abgezogen werden).

10. Absicherung unsteter Erwerbsbiografien

Das Grundeinkommen und der Schutz von Ersparnissen (nur Erträge und große Vermögen werden besteuert) bieten eine unverlierbare Absicherung ohne bürokratische Schikanen.

11. Förderung und Absicherung von Selbständigkeit

Mit dem Grundeinkommen als Basis wird eine „rationale Risikobereitschaft“ gefördert. Das Existenzgründungskapital geht in Investitionen, nicht in die Deckung des unmittelbaren Lebensbedarfs. Existenzgründungen werden so einfacher, da die Kreditwürdigkeit steigt. Auch Niedrigqualifizierte können erfolgreich eine Existenz gründen, bspw. Im personenbezogenen Dienstleistungsbereich. Kleine Selbständige mit schwankenden Einkommen werden unbürokratisch unterstützt.

12. Kinder- und Familienfreundlichkeit

Der Nettoeinkommenszuwachs ist in Konstellationen mit Kindern besonders stark. Die relativ hohe Kindergrundsicherung schützt insbesondere die verwundbarsten Lebensverhältnisse – die mit Kindern. Eltern können sich lebenslagenbezogene Teilzeit eher leisten (aber zugleich lohnt sich die Erzielung von zusätzlichem Einkommen besonders, und zwar für beide).

13. Zivilgesellschaftliches Engagement und nachhaltige Lebensweise

Beides wird ermöglicht, kombiniert mit starkem Anreiz, Einkommen zu erwirtschaften. Dadurch wird keine Lebensweise aufgezwungen, sondern die individuellen Freiheitsspielräume werden erhöht.

14. Stärkung niedrig qualifizierter Beschäftigter

Sie haben einerseits ein starkes Interesse dazu zu verdienen – das Grundeinkommen ist nicht komfortabel hoch. Sie haben mehr von dazuverdientem Einkommen – die Anrechnung ist viel geringer als heute. Sie gewinnen aber auch an Souveränität: Sie müssen aber nicht jede Arbeit um jeden Preis annehmen. Der Trend zur Ausbeutung Niedrigqualifizierter wird so aufgehalten. Da aber höher qualifizierte Jobs relativ zunehmen und niedrig qualifizierte abnehmen, ist nicht von drastischen Steigerungen bei der Entlohnung einfacher Tätigkeiten auszugehen, sondern nur von einer Eindämmung von Ausbeutung (Mindestlohn bleibt notwendig).

15. EU-Kompatibilität, Grundsicherungskonzepte im globalen Vergleich

Innerhalb der EU gibt es eine Vielzahl von Sozialmodellen, auch schon mit Instrumenten von Aufstockungen (u.a. GB). Die Krise beitragsfinanzierter, nur an die Arbeitseinkommen gekoppelter Konzepte wird überall gesehen. Im globalen Kontext spielen egalitär angelegte Grundsicherungskonzepte eine zunehmende Rolle (und in der globalisierungskritischen Debatte) – auch weil sie weniger korrumpierbar sind als bedürftigkeitsgeprüfte Modelle.

16. Offen für komplementäre Erfordernisse

Das Grundeinkommen wirkt als positiver Verstärker und Absicherung in anderen gesellschaftlichen Lebensbereichen. Die Durchsetzbarkeit eines Mindestlohns wird gefördert, denn Arbeitnehmer/innen sind in einem Grundeinkommenssystem weniger erpressbar und können Ausbeutung risikoloser anzeigen. Öffentlich geförderte Beschäftigung bleiben notwendig. Weil bereits ein Sockel besteht, wird die zusätzlich notwenige Förderung überschaubarer.

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