Bundestagsrede zum Antrag „Berufsqualifikation – Mobilität erleichtern, Qualität sichern“

Tagesordnungspunkt 26: Beratung des Antrags: Berufsqualifikation – Mobilität erleichtern, Qualität sichern – Drucksache 17/10782 – Wie in der Tagesordnung vorgesehen, werden die Reden zu Protokoll genommen.

Das duale Ausbildungssystem hat sich in Deutschland als besonders erfolgreich erwiesen. In den weiteren Beratungen zur Richtlinienmodernisierung muss die Bundesregierung sicherstellen, dass die EU-Ausbildungsgrundsätze keine Qualitätserosion zur Folge haben und die duale Ausbildung gestärkt statt geschwächt wird.

In dieser Grundausrichtung begrüßen wir den Antrag der Koalitionsfraktionen. Wir teilen aber nicht alle vorgebrachten Kritikpunkte an der Ausrichtung des Änderungsvorschlages der Kommission zur Berufsqualifikationsrichtlinie. Denn dieser stärkt die berufliche Mobilität in Europa. Zur Stärkung der beruflichen Mobilität gehört Transparenz im Anerkennungsverfahren bei den Berufsqualifikationen und in den jeweiligen Mindestausbildungsanforderungen für die Berufstätigen. Dazu gehören die verbesserte Zusammenarbeit zwischen Aufnahmestaaten und Herkunftsstaaten über das elektronische Binnenmarkinformationssystem und die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens durch das neue Vorwarnsystem. Auch andere Maßnahmen, die den Beteiligten künftig mehr Planungssicherheit verschaffen werden und Hürden und Diskriminierung im Zuge der Anerkennung von Berufsqualifikationen zwischen den EU-Mitgliedstaaten abbauen, begrüßen wir. Dazu gehören: der klare zeitliche Rahmen für das Anerkennungsverfahren sowie die Pflicht zur Erstellung nationaler Listen der jeweils reglementierten Berufe und natürlich die Einführung des freiwilligen Europäischen Berufsausweises. Mit dem Kommissionsvorschlag, die Zulassungsvoraussetzungen für die Ausbildung der Krankenpfleger und Krankenschwestern sowie der Hebammen von einer zehnjährigen allgemeinen Schulausbildung auf zwölf Jahre heraufzusetzen, werden auf der anderen Seite jedoch neue Hürden aufgebaut. So bedeuten zwölf Schuljahre, wie sie in bereits 24 EU-Ländern Ausbildungsvoraussetzung sind, nicht in allen Ländern das Gleiche. Während sie in Deutschland gleichbedeutend mit einer Hochschulzugangsberechtigung sind, werden in Frankreich und Irland beispielsweise die Vorschuljahre mit eingerechnet, sodass ein mittlerer Schulabschluss ausreicht.

Der Koalitionsantrag lehnt den Zwölfjahresvorschlag für beide Berufsgruppen gleichermaßen kategorisch ab. Wir Grüne halten dies nicht für zielführend: Sowohl der Kommissionsvorschlag als auch der Koalitionsantrag werfen die Krankenpflege- und die Hebammenausbildung in einen Topf, wenn auch mit entgegengesetzten Konsequenzen. Eine fundamentale Ablehnung, wie die CDU/CSU-Fraktion hier vorlegt, ist kurzsichtig, an der Qualifikationsrealität der Hebammen vorbeigedacht und ignoriert darüber hinaus die laufende innerdeutsche Debatte und den Ruf der Hebammen nach einer schrittweisen Akademisierung ihres Berufsstandes.

Wir Grüne plädieren dafür, die Forderung nach Anhebung der formalen Voraussetzungen für die Ausbildung in der Entbindungspflege auf der einen Seite und der Krankenpflege auf der anderen Seite differenziert zu betrachten und dabei die derzeitige Lage in den Blick zu nehmen. Im Falle der Hebammen halten wir eine Anhebung für gerechtfertigt, weil die große Mehrheit der Hebammenschülerinnen aktuell schon überwiegend eine Hochschulzugangsberechtigung erlangt hat und Hebammen zudem später sehr stark eigenverantwortlich arbeiten. Ihr Berufsverband spricht sich deutlich für die Erhöhung des Qualifikationsniveaus aus, und die entsprechende Entwicklung ist schon im Gange.

Die Situation in der Krankenpflege dagegen stellt sich anders dar. Eine Erhöhung der schulischen Zugangsvoraussetzungen würde rund 45 Prozent der Auszubildenden betreffen. Deshalb glauben wir, dass eine Anhebung in diesem Fall zu einer Verschärfung des Fachkräftemangels führen würde, und lehnen diese ab. Klar ist: Wir dürfen die Zulassung zur Krankenpflegeausbildung nicht an eine Hochschulzugangsberechtigung binden, wenn wir damit die Chancengerechtigkeit unseres Bildungssystems nachhaltig gefährden und Tausenden jungen Menschen mit Haupt- und mittlerem Schulabschluss einen Weg in die Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung verwehren.

In einem weiteren Punkt bewerten wir den Kommissionsvorschlag anders als die Koalitionsfraktionen: Wir erwarten von der Bundesregierung in den Beratungen im Rat, bezüglich der Aufnahme des Notarberufes in den Geltungsbereich der Richtlinie Klarheit zu schaffen, insbesondere bezüglich möglicher „Wandernotare“. Wir unterstützen den Vorschlag der Kommission, die Niederlassung von Notaren zuzulassen. Einig sind wir uns mit den Antragstellerinnen und Antragsstellern jedoch in der Kritik an der grenzüberschreitenden Dienstleistung der Notare.

Wir begrüßen die in der Richtlinie vorgeschlagene Streichung der bisherigen Möglichkeit, Apothekerinnen und Apothekern mit ausländischen Ausbildungsnachweisen die Eröffnung ihrer eigenen Apotheke zu verweigern. Dieses Privileg sehen wir weder als förderlich für die berufliche Mobilität noch als notwendig für die Sicherheit der deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher an. Hinsichtlich der Einführung des Europäischen Berufsausweises und der Nutzung des elektronischen Binnenmarktinformationssystems darf Datenschutz natürlich kein Lippenbekenntnis sein und muss ernst genommen werden. Problematisch ist aus meiner Sicht das Prinzip der stillschweigenden Anerkennung. Sollte ein Aufnahmemitgliedstaat innerhalb einer bestimmten Frist nicht auf den Antrag zur Anerkennung seiner Berufsqualifikation reagieren, soll dies nach Auffassung der Kommission einer faktischen Anerkennung gleichkommen. Die Bundesregierung muss in den weiteren Beratungen sicherstellen, dass ein Weg für ein unbürokratisches, nutzerfreundliches Verfahren gefunden wird, ohne dass erhebliche Rechtsunsicherheit geschaffen wird.

Generell ist es aus meiner Sicht wichtig, dass wir auch darüber nachdenken, unter welchen Bedingungen die Richtlinie für Drittstaatsangehörige greifen kann, die ihren Abschluss in einem EU-Mitgliedsstaat erworben haben, um auch hier Diskriminierung abzubauen. In Deutschland haben wir mit dem Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen im Jahr 2011 die Inhalte der Berufsqualifikationsrichtlinie im Prinzip auf Personen aus Drittstaaten bzw. auf in Drittstaaten erworbene Qualifikationen ausgedehnt. Politisch sollten wir alle dafür eintreten, dass das EU-weit so gehandhabt
wird.

Aufgrund dieser Mischung aus zustimmungsfähigen und abzulehnenden Punkten enthalten wir uns zu Ihrem Antrag.

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