Antrag zum Grundeinkommen

Robert Habeck, KV Schleswig-Flensburg Anke Erdmann, KV Kiel Rasmus Andresen, KV Flensburg Katja Günther, KV Kiel Valerie Wilms, KV Pinneberg Arfst Wagner, KV Dithmarschen

Der Landesparteitag möge beschließen: Der Landesverband Schleswig-Holstein spricht sich für das Modell eines Grünen Grundeinkommens aus und empfiehlt seinen Delegierten bei der BDK zugunsten dieses Modells zu stimmen.

Das Grüne Grundeinkommen: Individuell, Existenz sichernd, bedingungslos Für einen neuen sozialen Zusammenhalt

I. Ziele und Erfahrungen grüner Sozialpolitik

1. Rückblick: Die Grünen und die Agenda 2010

Die Haltung der Grünen zu den Sozialreformen der Agenda 2010 war ambivalent. Wir haben z.B. die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld, die Einbeziehung ehemaliger Sozialhilfeempfänger/innen in die Arbeitsmarktförderung, die damit verbundene Verringerung verdeckter Armut sowie eine fachübergreifende Hilfeleistung grundsätzlich begrüßt und auch das Prinzip der „Aktivierung“ (Fördern und Fordern) fand mehrheitlich Unterstützung. Allerdings blieben die Reformen hinter dem, was wir im Grundsatzprogramm unter „bedarfsorientierter Grundsicherung“ (S. 64ff.) beschrieben haben, deutlich zurück. Nicht zuletzt gibt es ein Ungleichgewicht zwischen Forderungen und fehlenden Rechtsansprüche für Förderung. So ist das System auf Kontrolle statt auf Ermutigung zur Eigenverantwortung ausgerichtet. Das bestehende Sozialsystem ist nicht armutsfest, sondern hat die materielle Notlage und die gesellschaftliche Spaltung in Deutschland verschärft. Wäre die Kaufkraft der Sozialhilfe von 1994 an fortgeschrieben worden, läge Hartz IV heute bei 420 Euro. Das SGB II widerspricht durch das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaften unseren (frauen-)emanzipatorischen Grundgedanken. Es geht im Kern vom Ideal einer männlichen Vollzeiterwerbstätigkeit aus und unterstellt eine ungebrochene Arbeitsbiographie in einem festen Anstellungsverhältnis. Damit wird es den erhöhten und verschärften Anforderungen der Arbeitswelt nicht gerecht. Hohe Sockelarbeitslosigkeit, fortschreitende Rationalisierungen, prekäre Arbeitsverhältnisse und befristete Arbeitsverträge kennzeichnen einen Wandel in der Erwerbsarbeit. Die Arbeitsmarktentwicklung hat sich vom Wirtschaftswachstum entkoppelt. Zeitarbeit, Teilzeit, befristete Arbeitsverträge, Praktika, 400-Euro-Jobs, Frühverrentung und prekäre Arbeitsverhältnisse, bei denen Löhne unterhalb des Existenzminimums bezahlt werden, lösen die bisher bekannten Verantwortlichkeiten zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden auf. Da immer mehr Jobs im Niedriglohnsegment entstehen und selbst bei einer Vollzeit- Erwerbstätigkeit der Erwerb kaum über den Leistungen des ALG II liegt und Zuverdienste zu restriktiv auf die Sozialleistungen angerechnet werden, bietet das Sozialsystem zu geringe Anreize zur Arbeit. Der Lohnabstand zu den Sozialleistungen ist kaum gewährleistet. Neo-Konservative Kräfte fordern deshalb ein weiteres Absenken der Sozialleistungen. Häufig auch unter dem Deckmantel einen Grundeinkommens. Andere Grundeinkommensmodelle gehen von dem Ende der Erwerbsarbeit aus und zielen auf eine Gesellschaft ohne Arbeit und ohne Wirtschaftswachstum. Den allen setzen wir das Konzept eines grünen Grundeinkommens entgegen. Das Grüne Grundeinkommen ist eine zeitgemäße Antwort auf den dramatischen Wandel der Erwerbsgesellschaft und auf die zunehmenden sozialen Spaltungstendenzen. Es versteht sich nicht als Patentrezept, sondern als eine wichtige freiheitliche und soziale Grundlage für grüne Politik. Um den umfassenden sozialpolitischen Anforderungen gerecht zu werden, kombiniert das Grüne Grundeinkommen eine nicht bedarfsgeprüfte Sockelleistung für alle mit bedarfsgeprüften und lebenslagenspezifischen Zusatzleistungen. Darin unterscheidet es sich von anderen, marktradikalen und neoliberalen Grundeinkommenskonzepten und führt die Grünen Wertvorstellungen von Individualität und Selbstbestimmung mit denen von Gerechtigkeit und Gemeinwohl zusammen.

2. Sackgasse bedarfsgeprüfte Grundsicherung

Eine Weiterentwicklung des Arbeitslosengeldes II zu einer Grundsicherung droht an den eigenen Maßstäben zu scheitern. Gefordert werden eine Erhöhung der Regelleistung, eine Individualisierung der Grundsicherung und eine Verbesserung der Zuverdienstregeln. Würden all diese sehr sinnvollen Forderungen umgesetzt, würde allerdings das heutige System der Grundsicherung gesprengt werden, da zusätzlich viele Millionen Haushalte in das System einbezogen werden müssten. Bereits heute beziehen fast 9 Millionen Menschen Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Viele von ihnen fühlen sich stigmatisiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Hinzu kommen noch 3 bis 4 Millionen Berechtigte, die ihren Anspruch nicht geltend machen, die so genannten verdeckt Armen. Da die Einkommen im unteren Bereich sehr eng gestaffelt sind, bedeutet das aber, dass bereits bei geringen Verbesserungen Millionen Menschen zusätzlich anspruchsberechtigt werden, deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse geprüft werden müssen. Je nach dem wie die Verbesserungen im Einzelnen aussehen, könnten 15 bis 20 Millionen Menschen einen Anspruch auf eine Grundsicherung erhalten. Das alte Sozialsystem stößt so gesellschaftspolitisch an seine Grenzen. Die Bürokratie würde erheblich aufgebläht werden, durch die Bedarfsprüfungen nimmt der Anreiz zur Schwarzarbeit zu. Alleine eine Erhöhung des Regelsatzes auf 420 € bedeutet Mehrkosten in Höhe von fast 10 Mrd. €. Verbesserte Zuverdienstmöglichkeiten, schwächere Berücksichtigung von Vermögen und geringe Anrechung von PartnerInnen-Einkommen, die weitere Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe verursachen, sind dabei noch nicht mitgerechnet. Unklar ist, wie eine Finanzierung dieser Zusatzausgaben ohne eine grundlegende Finanzreform gelingen könnte. Wo das Hartz IV System zur Grundsicherung weiter entwickelt wird, wird es dies vielfach durch Elemente des Grundeinkommens, etwa bei individuellen Ansprüchen in der Kindergrundsicherung oder beim Brückengeld. So sehr diese Schritte in die richtige Richtung zeigen, so halbherzig sind sie doch, und sie setzen immer weitere Überprüfungsmechanismen und Antragsbürokratien voraus. Hauptkritikpunkt jedoch ist, dass das bedarfsorientierte Grundsicherungssystem im Endeffekt auf Sanktionen zurückgreifen muss, während wir überzeugt sind, dass ein armutsfester Sockel sanktionsfrei zu stellen ist. 3. Das Grundeinkommen Ein Grundeinkommen setzt am Anfang des Einkommensverteilungsprozesses an, nicht am Ende, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, wie es bei den Sozialleistungen der Fall ist. Noch vor dem Erwerbseinkommen gewährt ein Sockeloder gar ein Existenz sicherndes Grundeinkommen eine finanzielle Ausgangsbasis, zu der dann alle anderen Einkommen hinzukommen. Es kann so als ein Vorschuss an alle Bürgerinnen und Bürger verstanden werden, die dann entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit durch die Steuer – wenn möglich – wieder zurückgezahlt werden sollte. Damit tritt es nicht erst ein, wenn Bürger/innen in Existenznot geraten, sondern verhindert diese im Vorfeld. Es wirkt damit der auch statistisch nachgewiesene Unsicherheit und der grassierenden Angst vor einem sozialen Abstieg in der Gesellschaft entgegen. Das Grundeinkommen ist der Hebel, dieser Gesellschaft wieder zu einer Vertrauenskultur zu verhelfen, in der dann demokratisches Engagement und mündige Selbstbestimmung wachsen können. Das Grundeinkommen wird an alle Mitglieder einer Gesellschaft ausgezahlt. Es wird an Individuen und nicht an Haushalte oder Bedarfsgemeinschaften gezahlt, ohne Vermögensprüfung, ohne Einkommensprüfung, ohne dass eine Überprüfung der Arbeitsbereitschaft vorausgesetzt wird. Mit einem Grundeinkommen wollen wir ein ökonomisches BürgerInnenrecht auf kulturelle, institutionelle und materielle Teilhabe an der Gesellschaft schaffen.

3. Nicht jedes Grundeinkommen ist „grün“

Weder das Grundeinkommens-Konzept von Götz Werner noch die Überlegungen von Dieter Althaus oder Thomas Straubhaar entsprechen den Anforderungen, die wir an eine Grüne Existenzsicherung haben. Wir lehnen diejenigen Grundeinkommens- Vorstellungen ab, die darauf hinaus laufen, Erwerbslose quasi durch eine Alimentierung abzufinden, bisherige soziale Sicherungsleistungen dafür gegen zurechnen und sie mit der Verantwortung für die Schaffung gesellschaftlicher Zugänge alleine zu lassen. Wir lehnen Modelle ab, deren Hauptnutzen darin besteht, als KombilohnModelle für jedermann Arbeitgebern die Lohnkosten zu senken. Und wir halten es auch für falsch, durch Radikalisierung von Forderungen nach individuellen Transfers der notwendigen Förderung öffentlicher Dienstleistungen, die auch finanziert werden müssen, den Boden zu entziehen. Das von uns vorgeschlagene Modell für ein grünes Grundeinkommen ist wesentlich im Einkommenssteuersystem implementiert. Für den gesamten Ausbau der Infrastruktur stehen alle anderen Vorschläge zur Verfügung, die in der grüne Debatte in der letzten Zeit eine Rolle gespielt haben. Insofern ermöglicht unser Vorschlag eine Gleichzeitigkeit beider Wege. Institutionen und individuelle Transfers müssen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Ausbau der sozialen Infrastruktur u.a. für Bildung, Betreuung und Beratung schlägt auf der Grundlage grüner Beschlusslage zusätzlich mit 40 bis 60 Milliarden Euro jährlich zu Buche. Dafür können verschiedene Instrumente herangezogen werden, wie eine modifizierte Erbschaftssteuer, eine revitalisierte Vermögenssteuer sowie ökologisch gestaffelte Konsumsteuern, schließlich auch eine über die skizzierte Einkommenssteuerquote hinausgehende Progression.

II. Der Weg zum Grünen Grundeinkommen

Wir wollen einen zukunftsweisenden Umbau unseres Sozialsystems, der die Solidarität vom Kopf auf die Füße stellt. Dazu gehört als zentraler Baustein ein Existenz sicherndes Sockelgrundeinkommen für Erwachsene im erwerbsfähigen Alter sowie für Kinder. Ergänzend notwendige Leistungen für Wohnkosten und für Hilfen in besonderen Lebenslagen, wie Behinderungen, werden wie bisher bedarfsgeprüft gewährt. Parallel dazu soll der dringend notwendige Ausbau der sozialen Infrastruktur verwirklicht werden, von der Bildung über die Kinderbetreuung bis zu einer wirklich greifbaren Arbeitsmarktintegration für benachteiligte Menschen. Außerdem sollen die sozialen Sicherungssysteme zur Absicherung der Risiken im Alter, bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit nicht mehr an die abhängige Beschäftigung gekoppelt, sondern zu einer solidarischen, aus allen Einkünften gespeisten Bürgerversicherung umgebaut werden. Ein Projekt wie die solidarische Neuausrichtung der sozialen Sicherung kann natürlich nicht auf Knopfdruck verwirklicht werden. Notwendige Anpassungen haben unterschiedliche Geschwindigkeiten: Eine Steuerreform ist zügiger umsetzbar als der Umbau der sozialen Sicherungssysteme. Somit gehört zur Praxistauglichkeit eines Konzepts, dass es in überschaubaren und nachvollziehbaren Schritten vollzogen wird. Diese Bausteine müssen in sich schlüssig sein und aufeinander aufbauen. Wir machen hierzu einen konkreten Vorschlag. Aber selbstverständlich ist auch eine andere Modularisierung vorstellbar und je nach den politischen Rahmenbedingungen können einzelne Schritte auch langsamer oder deutlich schneller umgesetzt werden.

1. Basis: Bedingungsloses Sockelgrundeinkommen

Grundsicherung und Grundeinkommen entspringen also unterschiedlichen Denkweisen, überschneiden sich aber in der Praxis und können sich ergänzen. Als Einstieg in ein Grundeinkommen wollen wir in einem überschaubaren Zeitraum ein Sockelgrundeinkommen mit netto 500 Euro für Erwachsene und netto 400 Euro für Kinder einführen. Anspruchsberechtigt sind alle Menschen, die – analog zur heutigen Gesetzeslage – ihren dauerhaften Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. Alle anderen erhalten weiterhin ausschließlich bedarfsgeprüfte Leistungen. Beide Beträge steigen mindestens entsprechend der Inflationsrate. Das Sockelgrundeinkommen ersetzt steuerfinanzierte Transfers wie das Arbeitslosengeld II, das Bafög (Zuschussanteil) und das Kindergeld. Aufbauend darauf können weitere Sozialleistungen des Grundsicherungssystems bedarfsabhängig gewährt werden. Die Kosten der Unterkunft sowie Hilfen in besonderen Lebenslagen werden bedürftigkeitsgeprüft übernommen. Ein vollständiger Ersatz aller Sozialsicherungssysteme im Tausch gegen ein sehr hohes Grundeinkommen ist nicht nur schwer zu finanzieren, es ist auch nicht sinnvoll, da es immer Lebenslagen gibt, die eine besondere Zuwendung erfordern. RentnerInnen erhalten eine Existenz sichernde, nicht bedürftigkeitsgeprüfte Mindestrente im Rahmen einer zur Bürgerversicherung reformierten Rentenversicherung. Vom Kindergrundeinkommen werden 100 Euro nicht ausbezahlt, sondern mit Hilfe einer Kinderkarte zur Verfügung gestellt. Diese 100 Euro im Monat können dann für Betreuungsleistungen, Schulspeisung, Vereinsleben, Schwimmbäder oder für den öffentlichen Personen-Nahverkehr ausgegeben werden.

2. Die Finanzierung

Unser Vorschlag eines Sockelgrundeinkommens wird vollständig gegenfinanziert, ohne den bisherigen Haushalt zu belasten. Wir streben dazu einen Finanzierungsmix an. Zum einen ergibt sich die Finanzierung aus eingesparten Transferleistungen, denn das grüne Grundeinkommen ersetzt steuerfinanzierte Transfers wie das Arbeitslosengeld II und das Kindergeld. Zum anderen schlagen wir zur Finanzierung eine grundlegende Einkommensteuerreform vor, die die Besteuerung aller Einkünfte, das Streichen aller Vergünstigungen in der Einkommensteuer, die Aufgabe des Ehegattensplittings und den Ersatz diverser steuerfinanzierter Sozialleistungen umfasst. Direkt ersetzt werden Kindergeld (32 Mrd.), der größte Teil des Elterngeldes, der Kinderzuschlag (3 Mrd.), BAföG (1,5 Mrd.) und weitere Einsparungen bei ALG II sowie den Kosten der Unterkunft (über 30 Mrd.) und der ALG II-Verteilungsbürokratie (3,5 Mrd.). Flankierend dazu wollen wir eine Weiterentwicklung der ökologischen Finanzreform über die Abschaffung von Ausnahmen bei der bisherigen ökologischen Besteuerung hinaus, um ökologische Anforderungen und soziale Absicherung zu vereinen. Wir wollen dabei an der erfolgreichen Einführung ökologischer Steuern unter der rot-grünen Regierung anknüpfen und ein Energiegeld einführen. Dieser Vorschlag grüner UmweltpolitikerInnen, bei dem eine Energie- und Ressourcen Besteuerung unerwünschten Verbrauch verteuert und eingenommene Gelder als „Öko- Bonus“ an die Bevölkerung zurück gibt, wird somit in unser Konzept eines grünen Grundeinkommens integriert. Im Kern wird das grüne Grundeinkommen durch eine reformierte Einkommensteuer finanziert. Sie deckt sowohl die bisherigen Einnahmen aus der Einkommenssteuer ab, als auch das zusätzliche Volumen des Grundeinkommens. Das grüne Grundeinkommen geht für Menschen, die Steuern zahlen, praktisch im Grundfreibetrag auf. Dieser liegt beim grünen Grundeinkommen deutlich höher als der heutige Grundfreibetrag und reduziert als „negative Einkommensteuer“ die Steuerschuld . Personen mit einer Steuerbelastung über dem Grundeinkommen, zahlen Einkommensteuer. Liegt die Steuerbelastung aber unterhalb des grünen Grundeinkommens bzw. ist kein Einkommen vorhanden, erhalten die Menschen Geld vom Staat – es wird sozusagen eine „negative Steuer“ gezahlt. Heutige Hartz IV-EmpfängerInnen erhalten das volle Grundeinkommen ohne Bedarfsprüfung. Familien mit Kindern werden deutlich besser gestellt als mit dem Ehegattensplitting. Besserverdienende zahlen aufgrund der entfallenden Vergünstigungen annähernd den nominalen Steuersatz, der heute häufig real nicht entrichtet wird, werden also höher belastet. Das Grundeinkommen hat damit eine über die Einkommensteuer geregelte umverteilende Wirkung. Damit korrigiert das Grundkeinkommen die immer größer werdende soziale Schere, die durch das bestehende Steuersystem begünstigt wird. Heute haben wir Steuersätze zwischen 15 und 42 Prozent. Durch Abschreibungsmöglichkeiten ist die Steuerbelastung real jedoch vor allem im unteren und mittleren Einkommensbereich sehr hoch, im oberen dagegen zum Teil bei nur 20 Prozent. Der reale Durchschnittssteuersatz auf alle Einkommen (Arbeitnehmer-Bruttolöhne und Gehälter, einmalige Zahlungen, Selbstständige, Nebentätigkeiten, Zinsen, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, in Summe 1164 Milliarden) liegt heute bei unter 16 Prozent. Die Summe aller Einkommenssteuerbeträge macht heute 185 Mrd. aus. Das Grundeinkommen kann mit einem durchschnittlichen Steuersatz von knapp 35 Prozent auf alle Einkommen, das sind jährlich 1350 Mrd. Euro, finanziert werden benötigt. Zusätzlich dazu müssen die Sozialabgaben bezahlt werden, also eine Quote aus Abgaben und Steuern von bis zu 50%. Eine Reform der Sozialabgaben halten wir für dringend nötig, klammern sie aber in diesem Modell zunächst aus. Es gelten hier die bisherigen grünen Beschlüsse. Die Spaltung in Arm und Reich wird durch das Grundeinkommen korrigiert. Es ist im Ergebnis eine solidarische Umverteilung zwischen Haushalten mit Erwerbseinkommen. Kleine und mittlere Einkommen werden gestärkt, große stärker als bisher herangezogen. Alle bisherigen Hartz IV-EmpfängerInnen sind damit materiell besser gestellt und haben gegenüber der Grundsicherung einen individuellen Anspruch sowie einen deutlichen Arbeits- und Zuverdienstanreiz, jedoch keinen Arbeitszwang! Personen ohne eigenes Einkommen müssen somit durch das Grundeinkommen lediglich bei Bedarf Wohngeld beantragen. Materiell erheblich besser gestellt werden zudem 2,8 Millionen Menschen, die im heutigen System verdeckt arm sind, die also anspruchsberechtigt sind, aber aus zahlreichen Gründen keine Leistungen beziehen. Einige Befürworter anderer Grundeinkommensmodelle halten es für einen Makel, dass unser System nicht alle Bedürftigkeitsprüfungen, wie etwa die Wohnkosten, abschafft. Richtig ist aber, dass es nun einmal verschiedene Lebenslagen gibt und ein Grundeinkommen – und sei es noch so hoch – niemals alle Notlagen abdecken kann. Durch das von uns vorgeschlagene Sockelgrundeinkommen reduziert sich die Zahl der Bedarfsprüfungen erheblich. Durch die Individualisierung (Überwindung der Bedarfsgemeinschaften) und die besseren Zuverdienstmöglichkeiten verbessert sich die Situation von heutigen Hartz IV-Empfängern auch gegenüber einer Grundsicherung nochmals relevant.

2. Einkommenswirkung

Für die Finanzierung des Grundeinkommens ist eine durchschnittliche Steuerbelastung von 35 Prozent auf alle Einkommen nötig. (Der Einfachheit halber wird hier ausschließlich mit diesem Einheitssteuersatz gerechnet, obwohl wir einen Mix aus einer progressiven Einkommensbesteuerung mit einem Spitzensteuersatz von 45%, sowie eine weiter entwickelte ökologische Steuerreform, anstreben.) Seine solidarische und progressive Wirkung zeigt das Grundeinkommen auch in der vereinfachten Darstellung, denn es wird als „negative Einkommensteuer“ ausgestaltet: So hat eine allein stehende Person mit einem Bruttoeinkommen von 1.000 Euro bei einem Steuersatz von 35% eine Steuerbelastung von 350 Euro, gleichzeitig aber einen Anspruch auf ein Grundeinkommen von 500 Euro. Sie zahlt also unter dem Strich keine Steuern, sondern bekommt noch zusätzlich etwas – nämlich eine „negative Einkommensteuer“ von 150 Euro. Bei einem 4-Personen-Haushalt mit zwei Kindern und einem Bruttoeinkommen von 3.000 Euro wird eine Einkommensteuerbelastung von 1.050 Euro Steuern mit einem Grundeinkommen von 1.800 Euro verrechnet (500 Euro für die Erwachsenen, je 400 Euro für die Kinder). Die „negative Einkommensteuer“, also der tatsächliche Zuschuss, beträgt hier 750 Euro. Familien werden mit dem Grundeinkommen deutlich besser gestellt als mit dem Ehegattensplitting. Bereits ein Steuersatz von „echten“ 35 Prozent würde für „Besserverdienende“ und für gut verdienende Haushalte mit 2 VerdienerInnen dagegen eine deutliche Mehrbelastung bedeuten, denn die heutigen Steuersätze stehen nur auf dem Papier. So hat ein kinderloser Haushalt mit 2 VerdienerInnen bei einem Bruttoeinkommen von 12.000 Euro eine Steuerbelastung von 4.200 Euro, abzüglich eines Grundeinkommens von 1000 Euro – das sind real 3200 Euro. Bei einem realen Steuersatz von heute durchschnittlich 25 Prozent wäre dies z.B. eine Mehrbelastung von monatlich 360 Euro. Angesichts der sozialen Schieflage in Deutschland ist eine Mehrbelastung höherer Einkommen durchaus gerechtfertigt. Eine deutlichere Progression der realen Steuersätze würde die umverteilende Wirkung stärken und die Schere zwischen Arm und Reich ein Stück weit schließen.

3. Aufbaumodule

Neben dem Sockelgrundeinkommen können spezielle lebenslagenbezogene Module aufgebaut werden, die das Grundeinkommen aufstocken und die im Regelfall auch die Wohnkosten mit abdecken, wie dies etwa bei einem Bildungsgrundeinkommen oder z.B. bei einer Reform des Rentensystems der Fall wäre. Durch ein nicht rückzahlbares Bildungsgrundeinkommen, das es zum Beispiel im skandinavischen Raum gibt, werden Phasen der Bildung und Weiterbildung abgesichert und Kinder aller sozialen Schichten zum bestmöglichen Bildungsabschluss befähigt. Rentnerinnen und Rentner mit geringen eigenen Rentenansprüchen sollen nicht mehr gezwungen sein, zum Sozialamt zu gehen, um ein ausreichendes Einkommen zu beziehen. Mit der Einführung einer Bürgerversicherung auch für die Rente, kann die Rentenversicherung nach dem Vorbild der Schweizer Rentenversicherung erfolgen: Mit einem armutsfesten Mindestsockel, verbunden mit dem Grundeinkommen, und einer gedeckelten Maximalrente. IV. Wie wirkt das Grundeinkommen? Es wäre falsch, das Grundeinkommen als ein Allheilmittel zu verstehen. Es gibt jedoch eine ganze Reihe wünschenswerter gesellschaftlicher Effekte, die mit Hilfe eines bedingungslosen Grundeinkommens erreichbar sind:

1. Armutsvermeidung / Reduzierung verdeckter Armut

Es ist eine massive Stützung kleiner und mittlerer Einkommen und eine substantielle Verbesserung der materiellen Lage breiter Bevölkerungsschichten. Durch den Verzicht auf die Bedürftigkeitsprüfung wird die aktuell dramatisch verdeckte Armut effektiv bekämpft. Werden die Kosten der Unterkunft bedürftigkeitsgeprüft ausgezahlt, bleibt allerdings ein kleiner Rest verdeckter Armut derjenigen, die sich dieser Prüfung nicht stellen.

2. Befähigung zu gesellschaftlicher Teilhabe

Das materielle Minimum wird für die ganz große Mehrheit der bisher Armen ohne Antrag ausgezahlt. Bei denen, die einen Antrag auf ergänzende Leistungen stellen, wird das Niveau angehoben. Ergänzende Notwendigkeiten stehen nicht im Widerspruch zum Konzept. Das gestärkte Selbstvertrauen der Grundeinkommensbezieher/ innen verbessert die Durchsetzungschancen von Bildung und gesellschaftlich anerkannten Tätigkeiten. Durch das Grundeinkommen kann sich das Fachpersonal in den Jobcentern voll und ganz auf die Beratung und Vermittlung konzentrieren.

3. Lohnabstandsgebot und Anreizwirkung

Hartz IV-Haushalte, insbesondere Familien, kommen oft in die Nähe von Durchschnittsverdienerhaushalten, deshalb fordern Neoliberale eine Reduzierung von Hartz IV. Eine – eigentlich notwendige – Erhöhung innerhalb des bedarfsgeprüften Systems verletzt das Lohnabstandgebot noch sehr viel mehr. Das vorgeschlagene Grundeinkommen ist dagegen ein unverlierbarer Sockel. Nur darüber hinaus erwirtschaftetes Einkommen wird besteuert. Dadurch ist das Lohnabstandsgebot immer optimal erfüllt. Mehr Arbeit lohnt sich, bei Schwarzarbeit ist der Mehrertrag geringer (das relative Risiko im Verhältnis zum „Gewinn“ steigt).

4. Gender / Förderung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen

Anders als bei Hartz IV ist das Grundeinkommen ein individueller Anspruch, unabhängig vom Haushaltskontext. Der Verzicht auf das Ehegattensplitting bringt die Gleichberechtigung aller Einkommen: Die Verteilung von Erwerbsarbeit in Beziehungen wird freier. Die Privilegierung der Alleinverdienerkonstellation entfällt. Genderpolitik als Querschnittsaufgabe wird durch ein Grundeinkommen aber nicht unwichtiger oder gar überflüssig, sondern bleibt unverändert notwendig und dringlich.

5. Verteilungswirkung

Das vorgeschlagene integrierte Steuer- und Transferkonzept hat eine stärkere egalisierende Verteilungswirkung als jedes isolierte Steuerkonzept in der Diskussion.

6. Transparenz des Steuersystems und des Systems sozialer Sicherung

Einfache und übersichtliche Gestaltung der Systeme bei maximaler Verteilungsgerechtigkeit.

7. Möglichst geringer Bürokratieaufwand

90% weniger Bürokratie bei der Verteilung von Transfers, da die Bedarfsprüfung weitgehend entfällt.

8. Plausible volkswirtschaftliche Wechselwirkungen

Ein größeres Vertrauen in einen gerechteren Sozialstaat. Die positiven Leistungsanreize und die zu der realen Vielfalt an Lebensentwürfen passende Ausgestaltung stärken ein nachhaltiges Verbraucherverhalten (Investitionen in Wohneigentum, energetische Sanierung) und die Kaufkraft. Der Trend zur weiteren Lohnsenkung wird gestoppt (s.u.), flexiblere bedarfsgerechte Arbeitszeitmodelle und eine humanere Arbeitswelt werden durchsetzbarer. Selbständigkeit wird erleichtert, die Personalverwaltung in Unternehmen entbürokratisiert.

9. Möglichst Verzicht auf Repressionen

Die Bedürftigkeitsprüfung ist nur noch bei einem Bruchteil der bisherigen Fälle notwendig. Sie ist einfacher (objektive Tatbestände) und basiert nicht auf einer unterstellten (Un-) Motivation. Sanktionen sind innerhalb des Systems nur in Ausnahmen möglich, wie z. B. bei den Kosten der Unterkunft und bei säumigen Unterhaltszahlungen (die können dem/der Zahlungspflichtigen vom Grundeinkommen abgezogen werden).

10. Absicherung unsteter Erwerbsbiografien

Das Grundeinkommen und der Schutz von Ersparnissen (nur Erträge und große Vermögen werden besteuert) bieten eine unverlierbare Absicherung ohne bürokratische Schikanen.

11. Förderung und Absicherung von Selbständigkeit

Mit dem Grundeinkommen als Basis wird eine „rationale Risikobereitschaft“ gefördert. Das Existenzgründungskapital geht in Investitionen, nicht in die Deckung des unmittelbaren Lebensbedarfs. Existenzgründungen werden so einfacher, da die Kreditwürdigkeit steigt. Auch Niedrigqualifizierte können erfolgreich eine Existenz gründen, bspw. Im personenbezogenen Dienstleistungsbereich. Kleine Selbständige mit schwankenden Einkommen werden unbürokratisch unterstützt.

12. Kinder- und Familienfreundlichkeit

Der Nettoeinkommenszuwachs ist in Konstellationen mit Kindern besonders stark. Die relativ hohe Kindergrundsicherung schützt insbesondere die verwundbarsten Lebensverhältnisse – die mit Kindern. Eltern können sich lebenslagenbezogene Teilzeit eher leisten (aber zugleich lohnt sich die Erzielung von zusätzlichem Einkommen besonders, und zwar für beide).

13. Zivilgesellschaftliches Engagement und nachhaltige Lebensweise

Beides wird ermöglicht, kombiniert mit starkem Anreiz, Einkommen zu erwirtschaften. Dadurch wird keine Lebensweise aufgezwungen, sondern die individuellen Freiheitsspielräume werden erhöht.

14. Stärkung niedrig qualifizierter Beschäftigter

Sie haben einerseits ein starkes Interesse dazu zu verdienen – das Grundeinkommen ist nicht komfortabel hoch. Sie haben mehr von dazuverdientem Einkommen – die Anrechnung ist viel geringer als heute. Sie gewinnen aber auch an Souveränität: Sie müssen aber nicht jede Arbeit um jeden Preis annehmen. Der Trend zur Ausbeutung Niedrigqualifizierter wird so aufgehalten. Da aber höher qualifizierte Jobs relativ zunehmen und niedrig qualifizierte abnehmen, ist nicht von drastischen Steigerungen bei der Entlohnung einfacher Tätigkeiten auszugehen, sondern nur von einer Eindämmung von Ausbeutung (Mindestlohn bleibt notwendig).

15. EU-Kompatibilität, Grundsicherungskonzepte im globalen Vergleich

Innerhalb der EU gibt es eine Vielzahl von Sozialmodellen, auch schon mit Instrumenten von Aufstockungen (u.a. GB). Die Krise beitragsfinanzierter, nur an die Arbeitseinkommen gekoppelter Konzepte wird überall gesehen. Im globalen Kontext spielen egalitär angelegte Grundsicherungskonzepte eine zunehmende Rolle (und in der globalisierungskritischen Debatte) – auch weil sie weniger korrumpierbar sind als bedürftigkeitsgeprüfte Modelle.

16. Offen für komplementäre Erfordernisse

Das Grundeinkommen wirkt als positiver Verstärker und Absicherung in anderen gesellschaftlichen Lebensbereichen. Die Durchsetzbarkeit eines Mindestlohns wird gefördert, denn Arbeitnehmer/innen sind in einem Grundeinkommenssystem weniger erpressbar und können Ausbeutung risikoloser anzeigen. Öffentlich geförderte Beschäftigung bleiben notwendig. Weil bereits ein Sockel besteht, wird die zusätzlich notwenige Förderung überschaubarer.

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