Zum Tod von General Jovan Divjak

In den Jahren 2012 und 2013 hatte ich als MdB die Möglichkeit, nach Bosnien zu reisen. Ich sollte junge Frauen und Männer auswählen, die mit einem Stipendium ein Jahr in einem Büro eines/einer Bundestagsabgeordneten in Berlin arbeiten konnten. Melina Borcak, Autorin des Artikels aus der TAZ über „25 Jahre Srebrenica“ vom 20.04.2021 war unter ihnen – Ich nahm sie als Mitarbeiterin in mein Büro auf. Sie ist ein großartiger Mensch!
Während meiner zweiten Reise nach Bosnien, auf der ich mit Unterstützung meines Büros die erste Tagung zu erneuerbaren Energien in Bosnien, die es überhaupt gab, zusammen mit der Deutschen Botschaft organisieren konnte (sie fand erst statt, als ich bereits nicht mehr im Bundestag saß), erhielt ich von der damaligen deutschen Botschafterin ein Geschenk: ich durfte fast einen Tag lang mit Jovan Divjak durch Sarajevo fahren. Jovan Divjak war ein serbischer General, der in Jugoslawien zu den engsten Vertrauten Titos gehörte. Im „Krieg“ zu Beginn der 90er Jahre leitete er die Verteidigung von Sarajevo vor den Serben – obwohl er selbst Serbe war. Nach dem Krieg gründete er eine Organisation, die multitethnische Waisenkindern ein zu Hause gab. Ich besuchte mit ihm den Tunnel, durch den Sarajevo während des „Krieges“ über Jahre mit Nahrungsmitteln versorgt wurde und durch das die beiden einzigen Telefonleitungen in die Außenwelt verliefen. Ich musste den Tunnel ohne ihn betreten, er wollte nicht mit hinein. Auf der Fahrt durch den Teil Sarajevos, der zur Republik Srbska gehört, meinte Jovan Divjak zu mir: „Herr Wagner, ich hoffe, Sie haben die Telefonnummer von Frau Merkel dabei. Wenn wir jetzt in eine Kontrolle geraten oder eine Panne haben, haben sie zwei Minuten Zeit, sie anzurufen. Dann bin ich gezwölfteilt“. Ich musste ihm sagen, dass ich die Nummer nicht hätte…

Mich haben die zwei Besuche in Sarajevo geprägt. In einer Sitzung mit den drei Fraktionschefs der ethnischen Parteien wurde ich gebeten, Joschka Fischer zu überreden, den drei ethnischen Parteien und der Regierung als Moderator zur Verfügung zu stehen. Nach meiner Rückkehr rief ich in seinem Büro an. Seine Antwort, kurz und bündig: kein Interesse. Dafür sah ich ihn einen Tag später in der BMW-Werbung.
Ich habe dann nach meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter die Zeit als Landesvorsitzender der Grünen zu nutzen, um im Hintergrund meine Kontakte nach Sarajevo aufrechtzuhalten. Nach meinem Ausscheiden aus dem Amt des Landesvorsitzenden war das dann vorbei.
Ich wollte eigentlich im letzten Jahr wieder nach Sarajevo reisen. Dann kam Covid. Ich wollte auch gern Jovan Divjak wiedersehen und sein Waisenhausprojekt unterstützen. Nun ist Jovan Divjak am 08.04.2021 gestorben. Ich werde ihn nie vergessen. Meine Hochachtung für ihn ist grenzenlos.

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