Unterwegs in Sarajewo und Prag für das Internationale Parlaments-Stipendium (IPS)

Arfst Wagner mit dem deutschen Botschafter Lingemann in Prag.
Foto: Romy Ebert. Vielen Dank!

Als Mitglied der IPS-Auswahlkommission führte mich eine Delegationsreise vom 08. bis 12. Oktober 2012 zunächst nach Bosnien und Herzegowina und im Anschluss daran weiter nach Tschechien.

Gemeinsam mit Prof. Dr. Peter Frensch, dem Vizepräsidenten der Humboldt-Universität zu Berlin, und RD Michael Reinold, Referat Internationale Austauschprogramme (WI 4) der Bundestagsverwaltung, hatte ich die Aufgabe, in Bewerbungsgesprächen die nächsten IPS-Stipendiaten für 2013 auszuwählen. Denn einmal im Jahr ermöglicht der Deutsche Bundestag politisch interessierten Hochschulabsolvent_innen aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa sowie Frankreich, Israel und den USA die Teilnahme an dem Internationalen Parlaments-Stipendium (IPS). Während einer fünfmonatigen Tätigkeit bei einem Bundestagsabgeordneten können die jungen Menschen die Eigenheiten des deutschen Parlamentarismus kennenlernen und die politischen Entscheidungsprozesse hautnah miterleben. Damit werden nicht nur die bilateralen Beziehungen auf staatlicher Ebene gefördert, sondern zugleich der zivilgesellschaftliche Dialog.

Sarajewo

Am 8. Oktober begann unsere Reise in Sarajewo mit den ersten Auswahlgesprächen. Uns beeindruckte im Besonderen die deutschen Sprachkenntnisse und das umfassende politischen Wissen der jungen Bosnier_innen. Schließlich fanden wir drei besonders überzeugende Bewerber_innen. Diese erhielten ein Schreiben mit der entsprechenden Bestätigung im Rahmen eines Empfanges in der Deutschen Botschaft in Sarajewo. Was auffiel: Es waren vor allem die Frauen, die sich durch eine hohe Qualifikation und fantastische Sprachkenntnisse auszeichneten.

Im Rahmen des Besuches in Sarajewo fanden im bosnischen Parlament Gespräche mit der deutschen Botschafterin Ulrike Knotz, dem Vorsitzenden des Repräsentantenhauses Prof. Dr. Bozo Ljubic (Partei HDZ 90) sowie mit Vertretern der bosnisch-herzegowinisch-deutschen Parlamentariergruppe Bosko Tomic (SNSD), Zvonko Jurisic (HSP) und Mirsad Masic (SDP) statt, in denen die Situation des Landes, die bosnisch-deutschen Beziehungen, die Entwicklung des Aufbaus demokratischer Strukturen in Bosnien und Herzegowina sowie die ethnischen Konflikte thematisiert und problematisiert wurden. Auch über den Stand der europäischen Einigung wurde diskutiert. Und nicht zuletzt wurde auch darüber gesprochen, ob das IPS-Programm eine Einbahnstraße bleiben sollte. Von unserer Seite wurde die Hoffnung geäußert, dass in Zukunft auch deutschen Stipendiaten ein Praktikum im bosnischen Parlament ermöglicht werde, damit es zu einem echten Austausch komme.

Mit dem Abkommen von Dayton wurde 1995 die föderale Republik Bosnien und Herzegowina in Südosteuropa geschaffen, die nach wie vor unter den Nachwirkungen des Bosnienkrieges (1992 – 1995) und den anhaltenden ethnischen Auseinandersetzungen leidet. Mit Dayton wurden zwei als Entitäten bezeichnete Landesteile geschaffen, die Föderation Bosnien und Herzegowina und die auf ihre Autonomie bedachte Republik Srpska sowie das Sonderverwaltungsgebiet Distrikt Brcko. In der Republik Srpska leben seit Ende des Bosnienkrieges 95 Prozent ethnische Serben, während die Politik in der Föderation Bosnien und Herzegowina vor allem durch die unterschiedlichen nationalen Interessen der Bosniaken und der bosnischen Kroaten geprägt ist.

In Bosnien ist der Prozess der Annäherung der drei ethnischen Gruppen, Bosniaken (ca. 48 % Mio) , Kroaten (14,3 %) und Serben (37,1 %) ins Stocken gekommen. Das zunächst hilfreiche Abkommen von Dayton behindere jetzt diesen Einigungsprozess, anstatt ihn zu fördern. Bosnien bräuchte eine völlig neue Verfassung. Diesbezügliche Hilfe aus dem Ausland sei notwendig, jedoch praktisch nicht vorhanden, so die Stimmen unserer Gesprächspartner aus Bosnien.

Fernsehbeitrage vom 10.10.2012 auf Youtube.

Bildung und Schule in Bosnien und Herzegowina

Der Vielvölkerstaat am Westbalkan ist nach wie vor von einem separierten Bildungssystem geprägt, da die Kultur- und Bildungshoheit weitgehend in der Zuständigkeit der beiden Entitäten bzw. der einzelnen Kantone liegt. Die drei Volksgruppen und ihre Konflikte bilden sich in der Schullandschaft ab, die Unterrichtsgestaltung unterliegt der ethnisch vorrangigen Prägung der Region. In Gebieten mit stark heterogener Bevölkerungsstruktur werden die Schüler_innen unterschiedlicher ethnischer Herkunft getrennt voneinander unterrichtet, haben getrennte Schuleingänge, Schulhöfe sowie unterschiedliche Lehrer_innen und Lehrpläne – ganz nach dem Prinzip „zwei Schulen unter einem Dach“. (Die deutsche Jugendorganisation „Schüler helfen Leben“, die am 18. Oktober 2012 in Berlin ihr 20-jähriges Bestehen feierte und während des Krieges 1992 im ehemaligen Jugoslawien gegründet wurde, setzt sich für eine Aufhebung dieser „ethnisch motivierten Teilung“ der Schulen ein.

Prag

In Prag fanden die entsprechenden IPS-Gespräche mit der Auswahl von fünf Stipendiat_innen und Stipendiaten aus zwölf Bewerber_innen und Bewerbern in der Deutschen Botschaft in Prag statt. Auch hier waren die Sprachkenntnisse und die Kenntnisse politischer Prozesse in Europa sehr erfreulich. Die fünf Stipendiat_innen und der eine männliche Stipendiat, die letztlich die Auswahl für sich entscheiden konnten, erhielten ihre Bestätigungsschreiben am Donnerstag Abend in der Deutschen Botschaft in Prag im Beisein des deutschen Botschafters Lingemann sowie des tschechischen Abgeordneten Miroslav Jenik.

Neben der Aufgabe, Stipendien für das IPS zu vergeben, wurden auch in Tschechien politische Gespräche geführt, unter anderem mit der tschechischen Parlamentspräsidentin Frau Nemcova, der Vorsitzenden der tschechisch-deutschen Parlamentariergruppe, Frau Vahalova, Vertretern der tschechisch-deutschen Parlamentariergruppe sowie dem deutschen Botschafter Lingemann. Die Inhalte der Gespräche waren: die Erweiterung der IPS-Stipendien im Sinne eines wechselseitigen Austauschs, also die Frage, ob in Zukunft auch junge Deutsche die Möglichkeit erhalten, im tschechischen Parlament ein Praktikum zu machen, die deutsch-tschechischen Beziehungen, besonders auch im kulturellen Bereich und ein Austausch von Gedanken über die gegenwärtige Problemlage des europäischen Einigungsprozesses.

Insgesamt wurden die tschechisch-deutschen Beziehungen gelobt. Es wurde jedoch auch festgestellt, dass aufgrund der nahezu ausschließlich ökonomisch gewichteten Europa-Diskussion die nationalen Interessen in Europa stärker in den Vordergrund gerückt würden. Dies wird zunehmend mit Sorge betrachtet.

Hier ein Radiobeitrag zu IPS von Radio Prag.

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